Krista wickelte sich fester in den Morgenmantel, ging barfuß durch den Tau auf ihre Tochter zu, die völlig in Gedanken versunken war, und setzte sich neben sie. Der
»Toll, wie die das machen, was, Mom?«, sagte sie, als die Vögel ohne jeden Laut nacheinander ins Wasser eintauchten. Kaths Stimme klang apathisch und flach.
Krista fand den Tonfall ihrer Tochter so alarmierend, dass ihr Kopf momentan ganz leer war und ihr keine Antwort darauf einfiel. »Tja«, erwiderte sie schließlich, »jedenfalls können sie ihren Atem lange anhalten. Mal sehen, wie lange sie ...«
»Was ist gestern mit Dad passiert, Mom?«
Krista wandte das Gesicht ihrem Kind zu, das im schwachen Licht der Morgendämmerung so zart und verletzlich wirkte. »Es war genau so, wie er es gestern im Fernsehzimmer erzählt hat, Liebes. Dein Daddy ist da unten in den Felsen stecken geblieben und konnte sich nicht mehr befreien.«
Zwischen Kaths müden Augen bildete sich eine steile Falte. Mit einem der sonnengebräunten Füße schlug sie so heftig auf das Wasser, als wolle sie es bestrafen. Gleich darauf sah sie ihre Mutter offen an und hielt deren Blick so fest, wie es nur Kinderaugen vermögen. Bei der nächsten Frage schienen ihre Lippen zu zittern. Es war eine Frage, die sie schon seit gestern Morgen beschäftigte. »Hätte er ertrinken können, wirklich ertrinken?«
Auf diese Frage gab es nur eine einzige Antwort, eine Antwort, die Krista ganz und gar widerstrebte. Einen Augenblick lang fühlte sie sich feige und überlegte, ob sie Kath eine Lüge auftischen und ihr erzählen sollte, dass ihr Vater ein oder zwei Minuten später auch aus eigener Kraft davongekommen wäre. Aber sie verwarf den Gedanken, Kath etwas vorzumachen, genauso schnell, wie er ihr gekommen war. Hier verbot sich jede Lüge, denn später würde Kath ihr das ewig nachtragen.
Die Antwort bestand zwar nur aus einer einzigen Silbe schlichter Bestätigung, aber sie würde der Vorstellung, die allen Kindern eigen ist -
»Ja, mein Liebes«, erwiderte Krista, »er hätte ertrinken können.«
Kath sagte nichts, aber ihre Augen nahmen weder den glasigen, leeren Ausdruck an, den sie auch gestern Morgen im Fernsehzimmer gehabt hatten. Gleich daraufstand sie auf.
»Ich möchte nachsehen, ob's ihm gut geht«, erklärte sie leise.
Krista griff nach ihrer Hand. »Jetzt nicht, mein Liebling. Er schläft noch, lass ihn schlafen. Es geht ihm gut, du kannst später zu ihm.«
Zögernd blickte Kath zum Schlafzimmerfenster ihrer Eltern hinauf. Dann setzte sie sich wieder und plantschte mit den Füßen gedankenversunken im Wasser. Nach einer Weile ging sie schwimmen.
An diesem sonnigen Sonntagmorgen rappelte sich Scott gegen neun Uhr mühsam hoch und setzte sich auf den Bettrand. Sein erster Gedanke war, dass er sich noch nie so zerschlagen gefühlt hatte ... Selbst gestern war es nicht derart schlimm gewesen. Und jetzt machte ihm auch noch sein Kopf zu schaffen. Er fühlte sich so, als habe er gerade eine wochenlange Zechtour hinter sich.
Während er auf der Toilette saß und ewig lange pinkelte, platzte Krista herein und ließ ihm das Badewasser ein. Genauso plötzlich verschwand sie auch wieder, um bald darauf mit einem Tablett zurückzukehren, auf dem ein Becher mit heißem Kaffee und mit Ei überbackene Toastscheiben standen. Sie half ihm ins Wasser, dessen Hitze gerade noch erträglich war, und stellte das Tablett am Wannenrand ab.
»Wund?«, fragte sie und zauste mit den Fingern an seinen Brusthaaren.
Scott nickte, wahrend er den Toast gierig verschlang. Plötzlich hatte er einen Bärenhunger. »Und das ist noch untertrieben«, fügte er hinzu, nachdem er das Brot mit Kaffee hinuntergespült hatte.
Krista begann, die Wadenmuskeln an Scotts rechtem Bein durchzukneten. Er genoss es so, dass er die Augenlider auf Halbmast sinken ließ. Hastig brachte er sein Frühstück hinter sich und streckte sich danach so aus, dass das Wasser ihm bis zum Kinn reichte.
»Gestern Nacht hast du mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, mein Lieber«, sagte Krista, wahrend sie sich einen riesengroßen Badehandschuh überstreifte und die Muskeln an seinem Oberschenkel zu bearbeiten begann.