An diesem Tag hatte die Arzthelferin, nachdem sie eine ältere Diabetikerin gewogen hatte, Scott beiseite genommen und ihn in ihrem schroffen, überheblichen Ton angekündigt, er werde seine nächste Patientin vielleicht als »ein wenig unangenehm« empfinden - wie die Underhoffer es in der ihr eigenen diskreten Terminologie auszudrücken beliebte. Es handle sich um ein junges Mädchen (einen »Hie-ppy«), das in »andere Umstände« geraten sei und jetzt nach einem Ausweg suche. Auf solche Ansinnen konnte die Underhoffer nur mit finsteren Blicken und eifernder Selbstgerechtigkeit reagieren.
Flankiert von der Arzthelferin, deren Waden ihn an Fässer erinnerten, hatte sich Scott in Raum 2 begeben und dort Krista Draper, damals noch Teenager, vorgefunden. In ein Laken gehüllt, hatte sie auf dem Untersuchungstisch gesessen und war bei seinem Anblick heftig errötet. In dieser Anfangszeit war Scott sowieso stets nervös gewesen, als Arzt noch ein Grünschnabel, der mit einem Kopf voll auswendig gelernter Fakten samt einer schwarzen Tasche voller Unerfahrenheit durch die Gegend taumelte. Aber irgendetwas an diesem Mädchen hatte ihn sofort umgehauen. Nichts, das er damals mit einem Namen hätte belegen können. Vielleicht war es etwas in diesen großen, gletscherblauen Augen, in ihrem forschenden, aufgeweckten Blick. Was immer es auch war, jedenfalls ertappte er sich plötzlich dabei, dass er einen trockenen Mund hatte, stotterte und kaum in der Lage war, die Arzt-Patienten-Farce durchzuziehen. Wäre er impulsiver (und sehr viel weniger professionell) gewesen, hätte er vielleicht gesagt: »He, wie wär's, wenn wir beide in die Stadt gehen, uns ein Eis holen, ein bisschen auf der Mole entlangschlendern und diese ganze Sache mit der Abtreibung wie zwei vernünftige Erwachsene durchsprechen.« Stattdessen hatte er all die Fragen gestellt, die von ihm erwartet wurden, auf ihrer Karteikarte Notizen eingetragen (Frith hatte die Karte peinlich genau alle achtzehneinhalb Jahre ihres Lebens hindurch geführt) und sie anschließend untersucht.
Und dieses eine Mal war Scott tatsächlich froh gewesen, dass er Friths dicke, übereifrige Arzthelferin dabei hatte. Der stählerne Blick aus ihren nordischen Augen hatte dafür gesorgt, dass er sich überaus professionell verhielt. Dennoch hatte er Notiz von diesem Mädchen genommen, von ihrer glatten, olivbraunen Haut, von dem dichten Schamhaar, von der Wärme, in die seine behandschuhten Finger eintauchten. Später hatte er Ekel vor sich selbst... und dennoch eine seltsame Hochstimmung empfunden.
Als sie sich ein paar Tage später zufällig trafen, geisterten beide aus ganz unterschiedlichen Gründen abends auf der Mole herum: Scott sehnte sich nach einer Familie und seinem Zuhause und wägte das Für und Wider einer Zusatzausbildung zum Facharzt ab; Kristas Gedanken schwankten zwischen Abtreibung und Selbstmord hin und her. Bei der Vorstellung, dass Krista seine völlig unangemessene Erregung im Untersuchungszimmer der Frith'schen Praxis wahrscheinlich bemerkt hatte, war Scott vor Verlegenheit rot geworden. Aber Krista war in ihre eigenen turbulenten Gedanken versunken gewesen, fast hätte sie ihn jetzt nicht wiedererkannt.
Als er auf Krista stieß, saß sie auf dem zerfallenden Ausläufer der Mole, hatte den Blick verträumt in die Ferne gerichtet und musste auf jeden, der sie dort sah, wie eine wunderliche Gestalt aus vergangenen Jahrhunderten wirken, die darauf wartete, dass das Schiff ihres Geliebten in der Dünung auftauchte. An diesem Abend hatte sie sich mitten in einem qualvollen Übergangsstadium befunden. In den letzten Wochen war sie durch die harte Schule heftiger Nackenschläge gegangen und vom Mädchen zur erwachsenen Frau gereift. Schließlich endete es damit, dass Scott sie in die Arme nahm und tröstete. Als es später in Strömen regnete, küsste er sie, strich ihr über das nasse Haar und flüsterte, es werde schon alles gut werden. Noch ehe er die Mole verließ, war er bis über beide Ohren verknallt. Nachdem er sie nach Hause gebracht hatte und zu seiner engen Koje in der Klinik zurückgekehrt war, hatte er stundenlang mit einer Art Phantomschmerz im Herzen wach gelegen.
Sieben Monate später, Kristas Bauch war inzwischen auf die Größe eines Basketballs angeschwollen, heirateten sie. Einen Monat später kam das Kind auf die Welt, das sie Kathleen Marie tauften.