Auch darüber hatte Scott seit Jahren nicht mehr bewusst nachgedacht: über die Tatsache, dass er nicht Kaths leiblicher Vater war. Anfangs, ehe Kath geboren war, hatte das an ihm genagt. Aber selbst damals war ihm klar gewesen, dass dieses Nagen vor allem mit seinem eigenen, ach-so-empflndlichen Ego zu tun hatte. Ein anderer Mann war mit dem Mädchen, das er liebte, zusammen gewesen, ein anderer Mann war in sie eingedrungen. Krista, die seine Empfindungen spürte, versicherte ihm, es sei nur eine einmalige Sache gewesen, mit einem Jungen, in den sie die ganzen letzten Schuljahre hindurch verschossen gewesen sei. »So was kann auch nur mir passieren«, hatte sie an jenem Abend auf der Mole gesagt. »Ich probier's ein einziges Mal - und schon bin ich schwanger.«
Aber als Kath erst einmal auf der Welt war und ihn mit ihrem niedlichen, runden Gesicht zu verzaubern begann, hatte er sich erneut bis über beide Ohren verknallt. Kath war ganz und gar
Als das Telefon im Fernsehzimmer schrillte, fuhr Scott wie in einem Krampf zusammen. Kaths Puppe rollte von seinem Schoß auf den Fußboden, wo sie mit dem Kopf nach unten als formloses Stoffbündel landete. Mit einem Satz schnappte er sich den Hörer, der in der Hand der Mickymaus klemmte.
»Hallo?«
»Dr. Bowman?«
Es war Vince Bateman. Angesichts der Uhrzeit und der Situation war Scott über diesen Anruf ebenso erstaunt wie verärgert.
»Ich weiß, es ist schon spät«, sagte Bateman, ohne Scotts Antwort abzuwarten, »aber ich habe gerade ...«
»Hören Sie, Vince«, unterbrach ihn Scott, »ich verstehe ja, dass Sie wegen der Besprechung sauer sind. Tut mir Leid, aber ich kann mich im Augenblick nicht damit befassen. Ich erwarte nämlich einen wichtigen Anruf und muss die Leitung freihalten.«
»Um die Besprechung geht's aber gar nicht«, erwiderte Bateman. »Außerdem ist sie trotz Ihrer Abwesenheit bemerkenswert gut gelaufen. Ich rufe Sie in meiner Eigenschaft als Stationschef an, Scott. Was ich eigen dich sagen wollte, ist Folgendes: Gerade eben hat mich die Aufsicht auf der anderen Leitung informiert, dass Sie am frühen Abend eine ziemliche Szene hingelegt haben, eine Szene bei unserem medial veranlagten Patienten. Stimmt das?«
»Ja, aber ...«
»Was, zum Teufel, geht hier vor, Scott?« In Batemans Stimme schwang ein offener Vorwurf mit. »Nach dem, was die Schwester sagt, hätten Sie den alten Mann ernsthaft verletzen können. Ein solches Verhalten macht sich gar nicht gut, mein Freund. Was läuft da schief? Stehen Sie vielleicht unter übermäßigem Stress?«
Als er jetzt darüber nachdachte, musste Scott zugeben, dass es tatsächlich nach einer schlimmen Szene ausgesehen haben musste. Und es stimmte auch - er hatte es selbst gemerkt, als die Schwester ihn daran gehindert hatte, den Mann weiter zu schütteln dass er den Alten, gebrechlich wie er war, um ein Haar ernsthaft verletzt hätte.
Dennoch merkte Scott, wie ihn Batemans herablassender Unterton zur Weißglut brachte. Ganz abgesehen davon, dass er dieses Gespräch jetzt nicht führen wollte.
»Wir sprechen ein andermal darüber, einverstanden, Vince?«
»Ich hätte nicht angerufen, wenn ich die Sache nicht für wichtig gehalten hätte ...«
»Es geht um den Zeichner und einige seiner Skizzen«, erklärte Scott. »Ich fürchte, Krista und Kath sind in Gefahr, könnten einen Unfall mit dem Auto haben. Bitte verstehen Sie, dass ich die Leitung freihalten muss. Krista hätte längst anrufen müssen.« Als er seine Ängste in Worte fasste, wären Scott fast die Tränen gekommen. »Vielleicht versucht sie ja gerade, zu mir durchzukommen, während die Leitung durch unser Gespräch besetzt ist.«
»Oh.« Batemans ursprünglich heftiger Ton schwand. »Nun ja, vielleicht gibt es ja gar keinen Grund zur Sorge. Solche Leute können sich auch einmal irren, wissen Sie ...« »Auf Wiederhören, Vince.«
»Wiederhören«, sagte Bateman und fügte hastig hinzu: »Geben Sie mir Bescheid, falls ... Auf Wiederhören, Scott.«
Mit einem verzweifelten Seufzer hob Scott Kaths Puppe auf und setzte sie auf die Tischplatte. Ihr Kopf sackte schlaff nach vorn. Er warf einen Blick auf die Uhr. Als er sah, dass es bereits auf Mitternacht zuging, fuhr ihm die Angst so heftig in den Rücken, als habe ihn ein Skorpion gestochen.
Als das Telefon eine halbe Stunde später erneut klingelte, schrie Scott erschrocken auf, während er den Hörer ans Ohr nahm. »Scott, hier ist Gerry.«
Scott sank das Herz in die Hose. Es hätte Krista sein müssen, dann hätte er diese ganze verdammte Angelegenheit vergessen können. Er hätte ihr sagen können, dass er sie liebte, wäre danach ins Bett gegangen und hätte die ganze Sache seiner überhitzten Fantasie zugeschrieben. Aber es war Gerry, und das verschlug Scott die Sprache. Da er das Schlimmste befürchtete, wollte ein Teil seines Ichs gar nicht hören, was sein Freund ihm mitzuteilen hatte.