Das Gefühl von Erleichterung, das Scott spürte, war einfach überwältigend. Als er sich Holley zuwandte, ließ er seinen Tränen freien Lauf, ohne sich dafür zu schämen. »Gib mir zehn Minuten. Oh Gott... Sie ist wirklich wach?« »Ja, und es scheint ihr recht gut zu gehen ... Sie ist nur ein bisschen erschöpft.«
»Zehn Minuten«, wiederholte Scott und legte auf. »Können Sie mich zurück zum Krankenhaus fahren?«, fragte er Holley fast brüllend.
Holley willigte ein. Schließlich war ihm klar, mit wem er es zu tun hatte: mit einem Mann, der ihn um Haupteslänge überragte, dessen Gesicht derzeit alle Anzeichen des Wahnsinns trug und der ihn im Fall der Ablehnung wahrscheinlich auch bedenkenlos zu Boden geschlagen hätte, um an den Wagen zu kommen.
Sie stiegen in den Mercedes und fuhren mit quietschenden Reifen davon.
27
Zehn Minuten später hielt der Mercedes mit aufkreischenden Bremsen in der Feuerwehrspur vor dem Krankenhaus. Scott sprang heraus, eilte die Treppe hinauf und drängte sich rücksichtslos durch die Menschenmenge im Foyer. Eine ehren-amtliche Schwesternhelferin setzte zur Frage an, ob sie ihm irgendwie behilflich sein könne, aber Scott stürmte achtlos an ihr vorbei, schwenkte nach links um und rannte den Gang zur Intensivstation hinunter, wo er schließlich die Türen aufwarf und zu den Innenräumen hastete.
Man begrüßte ihn mit verständnisvollem Lächeln. Ohne darauf zu reagieren, lief er an der Reihe mit Überwachungsgeräten vorbei zu Kaths Nische. Mit der Schulter bahnte er sich den Weg durch die knallbunten Vorhänge, die jetzt zugezogen waren.
Caroline saß mit gekreuzten Beinen auf dem Fenstersims, während Kath an einem Berg von Kissen lehnte und mit einem Strohhalm Wasser aus einem Styroporbecher sog. Langsam wandte sie sich Scott zu. Ihre sonst so glänzenden Augen wirkten stumpf. Offenbar brauchte sie einen Moment, bis sie ihn erkannte. Es war ein Augenblick, der Scott quälend lange vorkam. »Daddy?«, fragte sie schließlich und streckte die winzigen Arme nach ihm aus.
Scott wollte sofort zu ihr stürzen, besann sich jedoch eines Besseren und trat langsam auf das Bett zu. Als er sich vorsichtig neben Kath niederließ, schlang sie ihm die Arme um den Hals und drückte ihn leicht.
»Du kratzt«, stellte sie fest, zog sich ein wenig zurück und fuhr ihm mit der Hand über die stoppelige Wange.
Caroline kicherte.
»Wie fühlst du dich, mein Kleines?« Vergeblich versuchte Scott, seine Tränen zurückzuhalten. Er wollte nicht, dass Kath es merkte, deshalb zog er sie ganz nah an sich heran.
»So, als wär ich betrunken, glaub ich«, erwiderte Kath und lächelte über Scotts Schulter hinweg ganz schwach Caroline zu.
»Tut dir irgendwas weh?«
»Nein, ich hab nur Durst.« Sie lehnte sich wieder zurück und suchte Scotts Blick. »Caroline sagt, wir hätten einen Unfall gehabt. Bist du böse wegen dem Auto?«
Scott musste daran denken, wie Krista sich am Telefon wegen des Wagens gesorgt hatte. Das war erst einen Tag her. Gestern war sie noch am Leben gewesen. »Vergiss das dumme, alte Auto, ja?« Er versuchte, sie wieder ganz nah an sich zu ziehen, aber sie wehrte sich dagegen.
»Wann kann ich Mom sehen?«
Er hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde, hatte bei der endlosen Fahrt von der Texaco-Werkstatt bis zum Krankenhaus an nichts anderes gedacht. Dennoch warf ihn die Frage völlig aus dem Gleichgewicht.
Caroline vergrub das Gesicht in den Händen und brach in Tranen aus. Kath blickte nur auf ihren Vater, suchte in seinen Augen nach einer Antwort. Scott konnte nichts anderes tun, als ihren Blick zu erwidern. Sein Hirn - oder der Teil davon, der für das Nachdenken und vernünftige Erklärungen zuständig war - war plötzlich leer.
Aber es waren gar keine Worte nötig. Kath lehnte sich kraftlos zurück, schmiegte sich in die Kissen und wandte ihren irgendwie verloren wirkenden Blick zum Fenster und zur grauen Welt da draußen.
»Sie ist tot«, sagte Kath. Eine nüchterne und unwiderlegbare Feststellung. »Ich wusste es, ich hab davon geträumt.«
Caroline floh tränenüberströmt aus dem Zimmer. Scott vergrub das Gesicht in Kaths Kopfkissen und vergoss die bittersten Tränen seines bisherigen Lebens. Nach einer Weile zog Kath ihn nah zu sich heran und sie weinten gemeinsam um Krista, die sie für immer verloren hatten.