Klara gab keine Antwort, allerdings stockte ihr pfeifender Atem plötzlich. In dem erwartungsvollen Schweigen, das darauf folgte, hörte Scott das Echo seiner eigenen Worte wie in einem Tunnel. Diese Worte kamen ihm dermaßen absurd vor, dass er den perversen Drang zu kichern kaum unterdrücken konnte.
Da waren sie wieder, diese Worte - die Worte, die er im Aufenthaltsraum der Intensivstation leise vor sich hin gemurmelt hatte. Es wurde einfacher, wenn man sie wiederholte. Sie kamen ihm schon nicht mehr so bedeutungsschwer vor wie beim ersten Mal.
Jetzt konnte er Klara wieder atmen hören. Zuerst seufzte sie, dann holte sie tief und zischend Luft, offensichtlich überwältigt von Fassungslosigkeit und Hysterie. Er bekam mit, dass sie am Telefon, das in ihrem Wohnzimmer an der viel frequentierten Hausbar stand, nach Worten suchte, aber es drangen nur unverständliche Grunzlaute heraus.
»Klara«, sagte Scott, »ich brauche jetzt deine Hilfe, allein schaffe ich das nicht.«
Klara blieb stumm, aber im Hintergrund hörte Scott ihren Mann Joe, der sich erkundigte, was es für Probleme gebe
»Reich mir das Telefon.« Joes Stimme klang jetzt näher Scott fiel auf (und unter diesen Umständen war das schon seltsam), dass er zum ersten Mal hörte, wie sich Joe Harper gegenüber seiner Frau behauptete. Gleich darauf war Joe am Apparat. »Wer ist dran?«, fragte er mit besorgter, hoher Stimme.
»Joe, ich bin's, Scott. Hör zu ...«
Als er die bedeutungsschweren Worte erneut aussprach, gingen sie ihm sogar noch leichter von der Zunge und klangen noch nichts sagender. Joes Schockreaktion war echt, aber beherrschter als Klaras, so dass Scott ihm das Wesentliche mitteilen konnte, ohne sich auch noch die Trauer eines weiteren Familienmitglieds aufbürden zu müssen. Joe versicherte ihm, er werde es übernehmen, ihre Schwiegermutter in Sandy Point zu benachrichtigen. Außerdem fragte er Scott, ob er damit einverstanden sei, die Flugkosten für die alte Dame zu übernehmen, damit sie an Kristas Beerdigung teilnehmen könne. Scott versprach es. Zu seiner Erleichterung bot Joe auch an, sich um Kristas Überführung von Danvers zu einem Bestattungsinstitut in Ottawa zu kümmern.
Mehr als erschöpft rief Scott schließlich auch noch Dr. Bateman im Health Sciences Center, dem Klinikum von Ottawa, an.
»Mein Gott, Scott, das ist ja furchtbar.« Bateman war unfähig, mehr als professionelle Anteilnahme in seine Worte zu legen. »Ich werde alle hier informieren. Wir erwarten Sie erst zurück, wenn Sie selbst so weit sind. Wenn Sie da sind, sind Sie da. Machen Sie sich in dieser Hinsicht keinerlei Sorgen.«
»Danke, Vince. Auf Wiederhören.«
»Scott«, sagte Bateman, ehe Scott auflegen konnte. »Hat es sich tatsächlich so abgespielt wie auf den Zeichnungen?«
Hätte Scott vor dem Anruf bei Bateman genauer nachgedacht, wäre er darauf gefasst gewesen, dass dessen wissenschaftliches Interesse über jedes Taktgefühl ging. Zu kaputt, um seinem Arger Luft zu machen, erwiderte er: »Ja, Vince, sogar Zeitpunkt und Ort haben gestimmt.«
»Und wie ist es zu dem Unfall gekommen?«
»Wiederhören, Vince.«
Er legte auf.
28
Der Rest dieses langen, konturenlosen Tages verging ohne jeden weiteren Zwischenfall. Doch am Abend packte Scott nochmals für kurze Zeit das Entsetzen.
Nachdem er mit Bateman gesprochen hatte, trat er nach draußen, um Luft zu schnappen. Als er Caroline entdeckte, die draußen herumschlenderte, schloss er sich ihr ein Weilchen an. Keiner von beiden redete besonders viel. Später kehrte er allein zu Kaths Zimmer auf der Intensivstation zurück. Kath schlief fest, bis um drei Uhr nachmittags ein Neurologe mit schütterem Haar namens Franklin hereinkam, um sie zu untersuchen.
»Merkwürdig«, sagte der Arzt, nachdem er Kath wachgerüttelt, mit einem kleinen Leuchtstab ihre Augen untersucht und ihre Reflexe getestet hatte. »Der seltsamste Verlauf einer Gehirnerschütterung, der mir je untergekommen ist - falls es wirklich eine Gehirnerschütterung war.« Franklins Diagnose stand in offensichtlichem Widerspruch zu der des Assistenzarztes Dr. Cunningham, der Kath auf die Station aufgenommen hatte. »Nach ihrem anfänglichen Zustand hätte ich eigentlich auf eine längere Genesungsphase getippt.« In diesen Worten Franklins schwang etwas mit, das Scott als beruflichen Erklärungsnotstand einordnen konnte. »Aber ihre Tochter scheint sich völlig erholt zu haben. Eigentlich sehe ich gar keinen Grund mehr, sie noch viel länger als morgen auf der Station zu behalten. Noch ein paar Tage in einem hübschen, ruhigen Zimmer, wo wir sie aus der Ferne überwachen können, und dann ...«