Kaths Körper zuckte so, als habe sie ein Schlag getroffen. Sofort wurde Scott klar, dass er einen schweren Fehler begangen hatte. Das bisschen Farbe in ihrem Gesicht schwand sofort, und ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten. Ihre erschrockenen, weit aufgerissenen Augen schienen durch Scotts Brust zu starren - vielleicht, weil ihr inneres Auge noch einmal alles abspulte. Ihre Finger gruben sich in Jinnies Rumpf. Dabei stand Scott plötzlich lebhaft die Sinnestäuschung vor Augen, die ihn zu Hause während des Gewitters so erschreckt hatte: Er sah die Puppe auf der Tischplatte vor sich, ihr Grinsen während eines Blitzes, die Füllung, ein hässlicher, grauer Bausch, der aus ihr herausgequollen war.
»Versuch dich zu erinnern«, hörte er sich selbst sagen, obwohl ihm gleichzeitig klar war, dass er das Thema besser für immer begraben hätte. »Versuch nachzudenken, Liebes, es ist wichtig.«
Kath presste die Augen heftig zusammen, nur eine einzige Träne trat glitzernd heraus. »Ich kann's nicht«, erwiderte sie kaum vernehmbar. »Ich kann mich nicht daran erinnern.«
Plötzlich war ein dumpfes
»Versuch es.«
»Wir sind gefahren ...«, sagte Kath mit Babystimme, »und haben gesungen ...«
»Wir waren unterwegs und haben gesungen ... haben gesungen und sind gefahren und ... Ach, es tut mir so Leid, dass du jetzt tot bist, du armes altes Murmeltier... Und ... und dann ... haben wir ihn erwischt... Er war tot und wir haben ihn mit dem Wagen erwischt...«
»Wer war tot? Das Murmeltier?«
»Ich kann mich nicht daran erinnern!«, schrie Kath mit schriller Stimme. Und dann verzerrte sich ihr Mund zu diesem Bogen hellen Entsetzens, während ihr Gesicht zu zucken begann. Das Zucken breitete sich aus, wurde zu heftigem Zittern, das wie eine Welle durch ihren Körper lief.
Doch als er sie in die Arme nahm und fest an sich drückte, ging die Krise vorüber. Kurz darauf entspannte sich ihr Gesicht und verzog sich danach zu einem Weinen.
Die Schwester, die bei Kaths Geschrei ins Zimmer geeilt war, ließ Scott wieder allein, damit er seine Tochter trösten konnte.
»Ich kann mich nicht daran erinnern, Daddy«, sagte Kath. »Wirklich nicht.«
Scott wiegte sie hin und her, behielt sie im Arm und versicherte ihr, das sei schon in Ordnung, es spiele keine Rolle. Irgendwann später ließ er sie aufs Bett zurücksinken wo sie, einen Arm liebevoll um Jinnie geschlungen, einschlief
29
Scott brachte den gemieteten Ford Pinto direkt vor dem lang gestreckten Schotterweg, der die Auffahrt zu dem Bauernhaus bildete, zum Stehen und betrachtete die durchgesackten, grauen Verschalungsplanken, die früher einmal weiß gewesen waren. Auf beiden Seiten des Hauses standen verwitterte, schwärzliche Außengebäude, die friedlich vor sich hin moderten. Auf der angrenzenden Weide drängten sich Kühe unter einer riesigen alten Eiche zum Schutz gegen den Nieselregen eng aneinander.
Es war nicht schwer gewesen, das Bauernhaus zu finden. Holley hatte ihm den Weg genau beschrieben, und der mit großen schwarzen Lettern auf den Briefkasten gemalte Name war schon aus hundert Metern Entfernung zu lesen gewesen. Erst jetzt, als Scott überlegte, was er Clayton Barr sagen sollte - dem Mann, dessen rechtzeitiges Eingreifen Kath das Leben gerettet hatte — fragte er sich:
Tatsächlich war ihm das keineswegs klar. Abgesehen davon, dass er sich bei ihm bedanken wollte, hatte er keine Ahnung, was er eigentlich bei Mr. Barr suchte. Und er wusste auch nicht, wonach er später Ausschau halten sollte, wenn er, wie er sich vorgenommen hatte, zum Schauplatz des Unfalls hinausfahren würde. Ihm war lediglich bewusst, dass er jetzt hier war, dass er vom Krankenhaus hatte fliehen müssen, weg von Holley und dessen Formularen, die auf seine Unterschrift warteten, weg von der unsichtbaren Gegenwart eines Leichnams, der Kristas Hülle war. Holley hatte er mitgeteilt, er benötige die Adresse des Bauern, weil er kurz hinfahren und sich vor dem Abflug nach Kanada bei ihm bedanken wolle. Und natürlich war das auch keineswegs gelogen ...