Die Fahrt vom Krankenhaus hierher hatte etwas Traumartiges an sich gehabt. Beim Fahren ertappte sich Scott eine Zeit lang dabei, dass er grinste und sich vorstellte - nein, tatsächlich glaubte -, er sei wieder fünfundzwanzig und auf dem Weg zu Kristas Wohnung in Sandy Point. Er würde sie abholen und zu ihrem geheimen Ort am Strand mitnehmen. Und dort würde er sie umarmen, küssen, ihren von der Schwangerschaft gewölbten Bauch streicheln und sie bitten, ihm eine zweite Chance zu geben. Die letzten Tage und Stunden hatte er wie in einem falschen Film verbracht, wie unter dem Einfluss irgendeiner verrückten psychedelischen Droge. Ja, vielleicht war es genau das: ein schlechter Trip. Irgendjemand, möglicherweise die Stewardess auf dem Flug von Montreal nach Boston, musste ihm heimlich eine Droge ins Getränk gemixt haben.
Während er mit knirschenden Reifen die Auffahrt entlangfuhr, erlebte er eine weitere Sinnestäuschung: Völlig plastisch standen ihm ähnliche Verschalungsplanken in Neufundland vor Augen, so dass er einen kurzen, wunderbaren Moment lang dachte, er werde gleich Krista lächelnd und mit ausgestreckten Armen auf sich zu stürmen sehen, um ihn willkommen zu heißen.
Aber statt Krista tauchte ein Mann mit gebeugtem Rücken und argwöhnischem Blick auf, und die Sinnestäuschung klärte sich zur traurigen Wirklichkeit. Als der Mann mit großen Schritten über den ungemähten Rasen kam, stob eine vom Nieselregen durchnässte, schmutzigweiße Gänseherde auseinander. Der Mann nickte ihm zu, aber seine Augen blickten noch argwöhnischer, als er Scotts ausgezehrte Gesichtszüge bemerkte. Er blieb mehrere Schritte vor dem Wagen stehen und sah zu, wie Scott ausstieg. »Verfahren?«, fragte Clayton Barr.
»Glaub ich nicht«, erwiderte Scott, sich seiner eigenen Stimme auf seltsame Weise bewusst. »Ich hätte gern mit Mr. Clayton Barr gesprochen.«
»Steht vor Ihnen.« Clayton streckte ihm die Hand hin, die Scott ergriff und schüttelte. Dabei fiel ihm sofort auf, wie schwielig und kräftig sie war. »Was kann ich für Sie tun, Mr.
»Bowman«, erwiderte Scott und wünschte sich dabei, ein anderer zu sein. »Scott Bowman.«
Claytons Gesicht verlor jeden Ausdruck und verdüsterte sich kurz darauf, wirkte fast kummervoll. Er streckte einen Arm hoch, als wolle er ihn Scott um die Schultern legen, ließ ihn dann aber wieder sinken. Seine Augen, aus denen jeder Argwohn gewichen war, blickten jetzt traurig und fixierten irgendeinen Punkt jenseits der Scheune.
»Kommen Sie herein, Scott«, sagte er. »Ist kein Tag, um im Hof herumzustehen.«
Scott fiel der o-beinige Gang des Mannes auf. Und dass der Nieselregen dessen grünes Arbeitshemd durchnässt hatte, so dass es an den Schultern viel dunkler wirkte. Er folgte ihm auf die überdachte Veranda. Dort hatte sich eine große, alte Katze mit buntscheckigem Fell in der Kuhle eines durchgesessenen Sofas zusammengerollt. Überall lagen dreckverschmierte Arbeitsstiefel herum. Auf der Armlehne eines zerschlissenen Sessels lag eine zusammengefaltete Zeitung neben einer halb geleerten Bierflasche. Aus dem Inneren des Hauses war leise Radiomusik zu hören, eine sentimentale Country-Ballade, die eine Mädchenstimme völlig falsch mitsummte.
Clayton griff nach dem Bier. »Setzen Sie sich doch.« Er deutete auf den Sessel, scheuchte die Katze weg und nahm ihren Platz auf dem Sofa ein, dessen rostige Sprungfedern unter seinem Gewicht ächzten. »Helen«, rief er, das Radio übertönend, »bring uns zwei kühle Bierchen, ja?«
Scott ließ sich schwerfällig in dem zerschlissenen Sessel nieder, der immer noch Claytons Körperwärme ausstrahlte. Der Beeper an seinem Gürtel drückte ihn in die Seite. Mit schüchternem Lächeln brachte ein Mädchen, das achtzehn Jahre alt sein mochte und recht bieder wirkte, das Bier auf die Veranda hinaus. Clayton sprach erst, als sie wieder gegangen war.
»Schreckliche Tragödie, Scott.« Er beugte sich vor und zupfte am Etikett der Bierflasche. »Mir ist klar, dass es kein Trost für Sie ist, aber ich glaube, ich weiß, was Sie durchmachen. Vor Jahren hab ich meine Sally verloren, als sie da drinnen Helen zur Welt gebracht hat« Er wies mit abgespreiztem Daumen zur Küchentür. »Sie war nicht viel älter als Helen jetzt. Es tut weh, tut schrecklich weh. Und es gibt keine Worte, die das mildern könnten.« Er schwieg eine Weile, ehe er fragte: »Was führt Sie hierher?«
Scott starrte auf sein Bier. »Ich wollte mich bei Ihnen bedanken ...« Und dann setzte er verzweifelt nach: »Können Sie mir sagen, was passiert ist? Was meinen Mädchen zugestoßen ist?«