Auch übereinander.« »Für eine Nacht muß es gehen.« »Es wird gehen. Keiner von den Leuten im Kleinen Lager wird ein Interesse daran haben, in den Transport zu geraten.« Weber lachte. »Sie werden davor zurückscheuen wie vor der Cholera.« Neubauer grinste flüchtig. Es gefiel ihm, daß seine Häftlinge im Lager bleiben wollten. »Wir müssen Wachen aufstellen«, sagte er. »Sonst verschwinden die Neuen in den Baracken, und wir haben da das Durcheinander.« Weber schüttelte den Kopf. »Auch darauf werden die in den Baracken schon selbst aufpassen. Sie haben Angst genug, daß wir sonst morgen einen Teil von ihnen mitschicken, um die Zahl vollzumachen.« »Gut. Bestimmen Sie einige unserer Leute und genügend Kapos und Lagerpolizei als Wachen. Und lassen Sie die Baracken im Kleinen Lager abschließen. Wir können keine Scheinwerfer riskieren, um den Transport zu bewachen.« Es war, als käme eine Horde großer müder Vögel, die nicht mehr fliegen konnten, durch das Zwielicht heran. Sie schwankten und stolperten, und wenn einer fiel, trampelten die anderen über ihn hinweg, fast ohne ihn zu sehen. »Barackentüren zu!« kommandierte der SS-Scharführer, der das Kleine Lager absperrte. »Bleibt drin! Wer herauskommt, wird erschossen!« Die Menge wurde auf den Platz zwischen den Baracken getrieben. Sie flutete hin und her, einige fielen, andere hockten sich zu ihnen, sie bildeten in der Unruhe eine Insel, die größer wurde, und bald lagen alle, und der Abend fiel auf sie wie ein Regen aus Asche. Sie lagen und schliefen; aber ihre Stimmen schwiegen nicht. Sie flatterten immer wieder auf, aus Träumen und Angstschlaf und jähem Erwachen, fremd« artig und schrill, und manchmal vereinigten sie sich zu einem langgezogenen Klagen, das in denselben wenigen Tönen auf- und niederstieg und gegen die Baracken wogte wie ein Meer von Elend gegen die sicheren Archen der Geborgenheit. Man hörte es in den Baracken die ganze Nacht hindurch. Es riß an den Nerven, und schon in den ersten Stunden wurden Leute wild. Sie begannen zu schreien, und als die Menge draußen es hörte, schwoll auch ihr Jammern an, und das machte das Schreien drinnen wieder stärker. Es war wie eine unheimliche, mittelalterliche Wechselklage – bis Kolben an die Baracken donnerten und Schüsse draußen ertönten und das dumpfe Geräusch von Knüppeln, die auf Körper fielen, und das schärfere, wenn sie Schädel trafen. Dann wurde es ruhiger. Die Schreienden in den Baracken waren von ihren Kameraden überwältigt worden; und die Menge draußen war vom Schlaf der Erschöpfung endlich niedergeworfen worden, mehr noch als von den Knüppeln. Von den Knüppeln spürten sie kaum noch etwas. Das Klagen wehte ab und zu wieder auf; es war schwächer, aber es verstummte nie ganz. Die Veteranen horchten lange darauf. Sie horchten und schauderten und hatten Angst, daß es ihnen ähnlich ergehen könne. Sie unterschieden sich äußerlich kaum von den Leuten des Transportes draußen – aber trotzdem fühlten sie sich in den Todesbaracken aus Polen, zwischen Gestank und Tod, eng zusammengepreßt und übereinander liegend, unter den Hieroglyphen, die Sterbende in die Wand gekratzt hatten, und in der Qual, nicht zur Latrine gehen zu können, so geborgen, als wären sie Heimat und Sicherheit gegen den uferlosen, fremden Schmerz draußen – und das schien fast noch grauenhafter zu sein als vieles andere zuvor – Sie erwachten morgens von vielen leisen, fremden Stimmen. Es war noch dunkel. Das Klagen hatte aufgehört. Dafür aber kratzte es jetzt an den Barackenwänden. Es kratzte, als nagten Hunderte von Ratten draußen, um hereinzukommen. Es kratzte heimlich und nicht zu laut, und dann begann es vorsichtig zu klopfen, gegen die Tür, gegen die Wände, und zu murmeln, schmeichlerisch fast, überredend, in einem fremden Singsang, mit den gebrochenen Stimmen letzter Verzweiflung: sie baten um Einlaß.