Sie schwiegen eine Weile. »Wir können natürlich immer noch die Wahrheit sagen und die Krone abliefern. Oder sie in seinen Mund stecken, wenn er tot ist«, erklärte 509 schließlich. Seine Hand schloß sich eng um den kleinen Klumpen. »Willst du das?«
Berger schüttelte den Kopf. Das Gold war Leben für einige Tage. Beide wußten, daß sie es jetzt, da sie es hatten, nicht mehr abliefern würden.
»Könnte er den Zahn nicht schon vor Jahren ausgebrochen und selbst verkauft haben?« fragte 509.
Berger sah ihn an. »Glaubst du, daß die SS sich darauf einläßt?«
»Nein. Besonders nicht, wenn sie die frische Wunde im Munde entdeckt.«
»Das ist das wenigste. Wenn er noch etwas durchhält, heilt die Wunde. Es ist außerdem ein hinterer Backenzahn; das macht die Kontrolle schwieriger, wenn die Leiche erst starr ist. Wenn er heute abend stirbt, ist er morgen vormittag soweit. Wenn er morgen früh stirbt, müssen wir ihn hier behalten, bis er starr ist. Das geht. Handke können wir beim Morgenappell täuschen.« 509 sah Berger an. »Wir müssen es riskieren. Wir brauchen das Geld. Jetzt besonders.«
»Ja. Wir können ohnehin nichts anderes mehr machen. Wer soll den Zahn verschieben?«
»Lebenthal. Er ist der einzige, der es machen kann.«
Hinter ihnen öffnete sich die Tür der Baracke. Ein paar Leute zerrten eine Gestalt an Armen und Beinen heraus und schleiften sie zu einem Haufen neben der Straße. Dort lagen die Toten, die seit dem Abendappell gestorben waren.
»Ist das schon Lohmann?«
»Nein. Das sind keine von den Unsern. Das sind Muselmänner.«
Die Leute, die den Toten losgelassen hatten, taumelten zur Baracke zurück.
»Hat irgend jemand gemerkt, daß wir den Zahn haben?« fragte Berger.
»Ich glaube nicht. Es sind fast alles Muselmänner, die da liegen. Höchstens der Mann, der uns die Streichhölzer gegeben hat.«
»Hat er was gesagt?«
»Nein. Bis jetzt nicht. Aber er kann immer noch einen Anteil verlangen.«
»Das ist das wenigste. Die Frage ist, ob er es für ein besseres Geschäft hält, uns zu verraten.« 509 dachte nach. Er wußte, daß es Leute gab, die für ein Stück Brot zu allem fähig waren. »Er sah nicht so aus«, sagte er schließlich. »Warum hätte er uns sonst die Streichhölzer gegeben?«
»Das hat nichts damit zu tun. Wir müssen vorsichtig sein. Sonst sind wir beide erledigt. Und Lebenthal ebenso.« 509 wußte auch das gut genug. Er hatte manchen Mann für weniger hängen sehen.
»Wir müssen ihn beobachten«, erklärte er. »Wenigstens so lange, bis Lohmann verbrannt ist und Lebenthal den Zahn verschoben hat. Danach nützt es ihm nichts mehr.«
Berger nickte. »Ich gehe noch einmal 'rein. Vielleicht finde ich schon etwas heraus.«
»Gut. Ich bleibe hier und warte auf Leo. Er muß noch im Arbeitslager sein.«
Berger stand auf und ging zur Baracke hinüber. Er und 509 hätten ohne Zögern ihr Leben riskiert, wenn Lohmann durch irgend etwas zu retten gewesen wäre. Aber er war nicht zu retten. Deshalb redeten sie über ihn wie über einen Stein. Die Jahre im Lager hatten sie dazu gebracht, sachlich zu denken.