Читаем Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend полностью

Ich stehe auf und sehe mich im Zimmer um. Die Decke ist niedrig und schräg, und die Bude ist nicht groß, aber ich habe darin, was ich brauche – ein Bett, ein Regal mit Büchern, einen Tisch, ein paar Stühle und ein altes Klavier. Vor fünf Jahren, als Soldat im Felde, hätte ich nie geglaubt, daß ich es wieder einmal so gut haben würde. Wir lagen damals in Flandern, es war der große Angriff am Kemmelberg, und wir verloren drei Viertel unserer Kompanie. Georg Kroll kam mit einem Bauchschuß am zweiten Tag ins Lazarett, aber bei mir dauerte es fast drei Wochen, bis ich mit einem Knieschuß erwischt wurde. Dann kam der Zusammenbruch, ich wurde schließlich Schulmeister, meine kranke Mutter hatte das gewollt, und ich hatte es ihr versprochen, bevor sie starb. Sie war so viel krank gewesen, daß sie dachte, wenn ich einen Beruf mit lebenslänglicher Anstellung als Beamter hätte, könnte wenigstens mir nichts mehr passieren. Sie starb in den letzten Monaten des Krieges, aber ich machte trotzdem meine Prüfung und wurde auf ein paar Dörfer in der Heide geschickt, bis ich genug davon hatte, Kindern Sachen einzutrichtern, an die ich selbst längst nicht mehr glaubte, und lebendig begraben zu sein zwischen Erinnerungen, die ich vergessen wollte.

Ich versuche zu lesen; aber es ist kein Wetter zum Lesen. Der Frühling macht unruhig, und in der Dämmerung verliert man sich leicht. Alles ist dann gleich ohne Grenzen und macht atemlos und verwirrt. Ich zünde das Licht an und fühle mich sofort geborgener. Auf dem Tisch liegt ein gelber Aktendeckel mit Gedichten, die ich auf der Erika-Schreibmaschine in drei Durchschlägen getippt habe. Ab und zu schicke ich ein paar dieser Durchschläge an Zeitungen. Sie kommen entweder zurück, oder die Zeitungen antworten nicht; dann tippe ich neue Durchschläge und probiere es wieder. Nur dreimal habe ich etwas veröffentlichen können, im Tageblatt der Stadt, allerdings mit Georgs Hilfe, der den Lokalredakteur kennt. Immerhin, das hat dafür genügt, daß ich Mitglied des Werdenbrücker Dichterklubs geworden bin, der bei Eduard Knobloch einmal in der Woche in der Altdeutschen Stube tagt. Eduard hat kürzlich versucht, mich wegen der Eßmarken als moralisch defekt ausschließen zu lassen; aber der Klub hat gegen Eduards Stimme erklärt, ich handle höchst ehrenwert, nämlich so, wie seit Jahren die gesamte Industrie und Geschäftswelt unseres geliebten Vaterlandes – und außerdem habe Kunst mit Moral nichts zu schaffen.

Ich lege die Gedichte beiseite. Sie wirken plötzlich flach und kindisch, wie die typischen Versuche, die fast jeder junge Mensch einmal macht. Im Felde habe ich damit angefangen, aber da hatte es einen Sinn – es nahm mich für Augenblicke weg von dem, was ich sah, und es war eine kleine Hütte von Widerstand und Glauben daran, daß noch etwas jenseits von Zerstörung und Tod existiere. Doch das ist lange her; ich weiß heute, daß noch vieles andere daneben existiert, und ich weiß auch, daß beides sogar zur gleichen Zeit existieren kann. Meine Gedichte brauche ich dazu nicht mehr; in meinen Bücherregalen ist das alles viel besser gesagt. Aber was würde mit einem passieren, wenn das schon ein Grund wäre, etwas aufzugeben? Wo blieben wir alle? So schreibe ich weiter, doch oft genug erscheint es mir grau und papieren gegen den Abendhimmel, der jetzt über den Dächern weit und apfelfarben wird, während der violette Aschenregen der Dämmerung schon die Straßen füllt.

Ich gehe die Treppen hinunter, am dunklen Büro vorbei, in den Garten. Die Haustür der Familie Knopf steht offen. Wie in einer feurigen Höhle sitzen da die drei Töchter Knopfs im Licht an ihren Nähmaschinen und arbeiten. Die Maschinen surren. Ich werfe einen Blick auf das Fenster neben dem Büro. Es ist dunkel; Georg ist also bereits irgendwohin verschwunden. Auch Heinrich ist in den tröstlichen Hafen seines Stammtisches eingekehrt. Ich mache eine Runde durch den Garten. Jemand hat die Beete begossen, die Erde ist feucht und riecht stark. Wilkes Sargtischlerei ist leer, und auch bei Kurt Bach ist es still. Die Fenster stehen offen; ein halbfertiger trauernder Löwe kauert auf dem Boden, als habe er Zahnschmerzen, und daneben stehen friedlich zwei leere Bierflaschen.

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