Читаем Der wandernde Wald полностью

Die Arbeit war bereits überraschend weit fortgeschritten. Die beiden flachen Gruben waren fertig ausgehoben, und zwei Kriegerfinnen waren damit beschäftigt, den Toten Rüstungen und Unterzeug auszuziehen. Skar näherte sich bis auf zehn Schritte und blieb dann stehen. Er wußte aus eigener schmerzlicher Erfahrung, daß es nicht ratsam war, sich in die Gebräuche anderer Völker zu mischen. Zu schnell konnte ein unbedachtes Wort, eine Geste im falschen Moment einen nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten.

Coar kniete neben den Toten nieder und hielt einen flachen, verzierten Kasten mit metallenem Deckel in den Händen. Ihr Gesicht war zu einer Miene konzentrierter Anspannung erstarrt. Die Lippen bewegten sich unablässig und formten lautlose Worte. Mehr als eine Minute saß sie so stumm zwischen den beiden Erschlagenen und starrte aus blicklosen Augen in die Flammen, ohne auch nur ein einziges Mal mit den Wimpern zu zucken. Dann setzte sie das Kästchen ins Gras und zog einen schmalen Dolch aus dem Gürtel. Ihre Finger glitten suchend über den entblößten Oberkörper des toten Mädchens, strichen beinahe liebkosend über die Brust und verharrten schließlich an einer Stelle dicht unterhalb des Herzens. Der Dolch senkte sich. Skar beobachtete mit wachsendem Entsetzen, wie die rasiermesserscharfe Klinge durch das noch warme Fleisch schnitt und sich tief in den Körper grub. Ein einzelner, schimmernder Blutstropfen quoll hervor und lief über Coars Hand. Sie schien es nicht einmal zu bemerken. Der Dolch hob sich, senkte sich erneut und schnitt noch einmal, diesmal diagonal zur ersten Wunde. Dann versenkte Coar mit einer entschlossenen Bewegung die Finger in den kreuzförmigen Schnitt. Als sie sie wieder hervorzog, hielten sie einen kleinen, runden Gegenstand. Sie schloß die Augen. Für Sekunden trat ein entspannter, beinahe glücklich zu nennender Ausdruck auf ihr Gesicht, ehe es wieder in die gewohnte Starre zurückfiel. Sie richtete sich auf, legte das Messer neben sich ins Gras und klappte den Deckel des Metallkästchens auf. Ein unhörbares Seufzen ging durch die Reihe der Kriegerfinnen, als sie den Gegenstand, den sie der Brust der Getöteten entnommen hatte, hineintat und den Deckel vorsichtig wieder schloß.

Skar wandte sich schaudernd ab und entfernte sich ein paar Schritte, während Coar sich über den zweiten Leichnam beugte und finit ihm in gleicher Weise verfuhr. Er fühlte, daß er jetzt nur stören würde.

Er ging unschlüssig zu den Pferden hinüber, sah sich einen Moment ratlos um und bückte sich schließlich nach einem Helm, der auf einem ganzen Haufen scheinbar achtlos zusammengetragener Gegenstände lag, weniger aus wirklichem Interesse als aus dem Verlangen heraus, seine Hände und vor allem seine Gedanken zu beschäftigen.

Skar registrierte verblüfft, wie schwer der unscheinbare Helm war. Er selbst hätte ihn auch mit Gewalt nicht über den Schädel bekommen, und auch kein anderer Krieger, den er kannte. Aber trotz seiner Kleinheit war er erstaunlich schwer. Skar drehte sich mehr zum Feuer hin und betrachtete den Helm genauer. Die feinen, mit unglaublicher Geduld in das harte Metall hineinziselierten Blumen- und Tiermuster, die Imitation einer Rattenschnauze auf dem Visier waren so akribisch ausgeführt, daß er in der flackernden Beleuchtung beinahe glaubte, einen echten Rattenschädel in Händen zu halten, komplett mit jedem winzigen Haar, jeder Unebenheit der Haut und den leicht einwärts gebogenen, tödlichen Fangzähnen. Er hatte nie eine schönere Arbeit gesehen, weder in einem weicheren Material noch in diesem schweren, harten Stahl, der fast so dick wie sein kleiner Finger war und auch einem mit aller Kraft geführten Keulenhieb widerstehen mochte. Er legte den Helm zurück und untersuchte Stück für Stück Brustpanzer, Schilde, Arm- und Beinschützer. Das Muster des Helmes wiederholte sich auf jedem Teil, selbst auf den Griffstücken der dünnen, biegsamen Säbel. Die Waldbewohner mußten eine unglaubliche Kunstfertigkeit in der Bearbeitung von Metall erlangt haben.

Die Rüstungen kamen ihm vage bekannt vor. Er war sicher, noch nie eine so phantastische Arbeit zu Gesicht bekommen zu haben, und doch erweckte der Anblick der schmalen Panzer ein beklemmendes Gefühl des Vertrauten in ihm. Aber er wußte nicht, wo er das Gefühl unterbringen sollte.

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