Das Geräusch leiser Schritte ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. Er drehte sich um und gewahrte Coar. Die Kommandantin hatte ihre Rüstung wieder vollständig angelegt und den Helm aufgesetzt, so daß von ihrem Gesicht trotz des hochgeklappten Visiers nur ein schmaler, dreieckiger Ausschnitt erkennbar blieb. Der Anblick verwirrte ihn. Das Rattenprofil war von den Schöpfern der Rüstung zweifellos gewählt worden, um Feinde zu erschrecken und von vornherein zu demoralisieren. Aber bei Coar bewirkte es jetzt, da er ihr Gesicht bereits kannte, das genaue Gegenteil. Die harten, aggressiven Linien unterstrichen ihre Weiblichkeit, statt sie zu verbergen. Coar bewegte sich langsam und scheinbar schwerfällig. Bei dem Gewicht der Rüstung schien es Skar erstaunlich, daß sie überhaupt gehen konnte. Sie mußte sehr stark sein, zumindest für eine Frau von ihrer Statur.
Er bemerkte, daß sie seine Sandalen und den Brustharnisch über dem Arm trug. Die Rechte umklammerte den Griff des Schwertes.
Sie näherte sich ihm bis auf Armeslänge, blieb stehen und sah ihn abschätzend an. Auf ihren Zügen spiegelte sich der innere Kampf, den sie durchstand.
»Gibst du mir dein Ehrenwort, nicht zu fliehen?«
Skar nickte wortlos.
Coar legte mit unbewegtem Gesicht Sandalen, Harnisch und Schwert vor ihm ins Moos, wandte sich abrupt ab und ging eilig zu ihren Kriegerfinnen zurück. Skar sah ihr verblüfft nach. Es war nicht zu übersehen gewesen, wie schwer ihr die Entscheidung gefallen war. Um so überraschter war er, daß sie es trotzdem getan hatte. Schließlich war er ein Fremder für sie, ein Mann, der aus dem Nichts aufgetaucht war und dessen Ehrenwort vielleicht nicht mehr galt als der Schmutz unter seinen Fingernägeln. Und trotzdem hatte sie diese Entscheidung gewiß nicht aus Leichtsinn oder übertriebener Dankbarkeit getroffen. Ihr Benehmen hatte nichts mehr mit Dankbarkeit zu tun, auch nichts mit dem Respekt, den man einem Krieger zollt oder der Kameradschaft, die einem gemeinsam ausgefochteten Kampf entspringen mochte.
Er klaubte seine Sachen vom Boden auf und begann sich umständlich anzukleiden. Der Harnisch schien Zentner zu wiegen. Die steinharten Kanten schrammten schmerzhaft über seine geschundene Haut, und die dünnen Nacken- und Rückenriemen schnitten wie winzige Messer ein. Er schlüpfte in seine Sandalen und zog anschließend zwei-, dreimal hintereinander rasch das Schwert aus der Scheide. Seine Muskeln hatten ihre gewohnte Geschmeidigkeit noch lange nicht zurück, und seine Reflexe schienen träge und langsam wie die eines Greises. Aber das vertraute Gewicht der Waffe an seiner Seite gab ihm etwas Sicherheit. Hätte er sie von Anfang an gehabt, dachte er düster, wären die beiden Kriegerfinnen vielleicht noch am Leben.
Die Beerdigungszeremonie – wenn man überhaupt von einer solchen reden konnte
- war vorüber. Die Gräber waren schmucklos; zwei flache, lieblos festgestampfte Hügel, als hätte man einen toten Hund oder Abfälle begraben. Skar registrierte irritiert die gelöste, beinahe heitere Stimmung, die mit einemmal von den Amazonen Besitz ergriffen hatte. Sie redeten miteinander, lachten und riefen sich Scherzworte zu, wenn auch leise und verhalten. Es gab keine Spur von Trauer oder Schmerz auf ihren Gesichtern; nichts, was darauf hinwies, daß diese Frauen vor wenigen Augenblicken zwei Kameradinnen begraben hatten.
»Wir können aufbrechen«, sagte Coar leise, als sie seine Annäherung bemerkte. »Es ist nicht mehr weit bis Went, aber wir sollten uns beeilen, schon Dels wegen. Wir haben bereits viel zuviel Zeit verloren. Man wird sich um uns sorgen.«
Skar hielt ihr mit einem spöttischen Lächeln die Hände entgegen. »Wollt ihr mich wieder fesseln?«
»Das wird nicht nötig sein. Du hast mir dein Ehrenwort gegeben.« Coar wies mit einer Kopfbewegung auf die Pferde, die bereits unruhig wurden und offensichtlich genau wie ihre Reiter darauf warteten, endlich nach Hause zu kommen. »Wir haben ein überzähliges Pferd. Wenn du reitest, sind wir schneller. Du kannst reiten?«
Skar verzichtete auf eine Antwort und schwang sich statt dessen mit einer kraftvollen Bewegung in den Sattel. Ein grausamer, stechender Schmerz Schoß durch seinen Rücken und bestrafte die unbedachte Anstrengung, aber er ließ sich nichts davon anmerken.
Coar nickte, ging zu ihrem eigenen Tier hinüber und sprang ebenfalls in den Sattel. Wenige Augenblicke später brachen sie auf.