Alle schwiegen, Hagen vor Zorn; Gunhild, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte; und Siggi, weil er den Grauen beobachtete. Er versuchte in den Zügen des alten Mannes zu lesen, versuchte herauszufinden, ob sein Misstrauen begründet war oder nicht.
»Kommt, ihr habt euch genug ausgeruht«, sagte der Graue. »Es geht weiter.«
Er stapfte voran. Die Kinder hinterher. Hagen hing seinem Groll nach, Gunhild träumte vor sich hin, und Siggi behielt den Alten im Auge.
Der Alte blieb unsicher, was die Richtung anging. Nie zögerte er lange; es waren immer nur Momente. Aber Siggi bemerkte es wohl, dass er nicht immer wusste, welchen Weg sie nehmen mussten.
Weiter zogen sie durch das fahl beleuchtete Höhlensystem. Der Alte gab gewiss sein Bestes, dessen war Siggi sicher, aber warum sagte er nichts von seinen Schwierigkeiten? War der einzige Grund, dass er die Kinder nicht erschrecken wollte? Das glaubte Siggi nicht. Nein, er wurde nicht schlau aus dem Mann, dem sie gewiss auf der einen Seite einiges zu verdanken hatten, der ihnen aber andererseits längst nicht alles gesagt hatte, was er wusste.
Gleichfalls begann Siggi darüber nachzudenken, wie viel Macht dem Alten wirklich zur Verfügung stand. Konnte er zaubern - richtig zaubern, nicht wie ein Zauberer im Fernsehen oder Zirkus, der mit Tricks und Fingerfertigkeit arbeitete, sondern
Ihre Rettung vor den unheimlichen Verfolgern - den Schwarzalben, wie der Alte sie genannt hatte - erschien ihm zwar wie Magie. Aber wenn welche im Spiel gewesen war, wie viel davon stammte von dem Alten, oder hatte er nur die
Wieder fand Siggi keine Antwort. Er wusste einfach nicht genug von der ganzen Geschichte; ja, er hatte nicht einmal eine Ahnung, wer ihr geheimnisvoller Retter überhaupt war.
Siggi glaubte fast, es wäre besser gewesen, noch mehr zu verheimlichen, aber dazu war es jetzt zu spät. Jetzt mussten sie das Beste aus der Lage machen, in der sich befanden.
Am Morgen, mit dem Licht des neuen Tages, würde der Bann von ihnen genommen, und sie konnten in ihre Welt zurückkehren, aber bis dahin waren sie Gefangene der Anderswelt. Das zumindest glaubte er ihrem Führer, der schweigend vor ihnen her stapfte und inzwischen an fast jeder Gabelung und Kreuzung verharrte. Aber er brauchte ja nicht zu lügen, er brauchte nur nicht alles zu erzählen, was er wusste. Wie sagten Gunhild und er doch immer, wenn sie ein kleines Geheimnis vor ihrem Vater verbergen wollten:
Und eben dieses Gefühl hatte Siggi bei dem Alten. Für ihn war es noch viel leichter, Dinge zu verbergen, ihnen vieles vorzuenthalten. Sie kannten sich in dieser Welt nicht aus. Siggi beschloss, sich bei nächster Gelegenheit mit Gunhild und Hagen zu besprechen; ja, auch mit Hagen, denn sie saßen zu dritt in der Klemme und mussten da gemeinsam auch wieder raus ...
Vor ihnen öffnete sich der Raum. Für einen Moment stockte jedem der Kinder der Atem. Sie waren schon in großen Kammern und Sälen gewesen, aber der hier stellte alles bisher da Gewesene in den Schatten. Er war bestimmt an die hundert Meter lang, schätzungsweise sechzig Meter breit, und wie hoch dieser Höhlendom war, konnte Siggi nicht ermessen. In dem diffusen, fahlen Licht war die Decke überhaupt nicht zu erkennen.
»Ja«, sagte ihr Führer. »Es ist ein Anblick, der auch mir immer wieder Bewunderung abnötigt.«
Überall glitzerte es, als würde Sternenstaub an den Wänden haften. Doch es waren Kristalle, die links und rechts von ihnen aus dem Boden wuchsen, und das schwache, kalte Licht brach sich darin in schillernden Reflexen, grün und blau und gelb, die weit in die Dämmerung streuten. Gebilde wie Eiszapfen zogen sich wie Gitter an den Wänden entlang; irgendwo tropfte Wasser, fiel mit einem klaren, glockenähnlichen Klang in ein unsichtbares Becken. Hier gab es wirklich Wunder zu schauen.
Siggi erkannte, dass ihr Führer sich erst wieder über den Weg klar werden musste, daher nutzte er ihr Staunen, um von seinen Problemen abzulenken.
Schon beim ersten Zählen hatte Siggi mindestens acht Gänge bemerkt, die aus dem Dom führten; als er genauer hinsah, konnte er über ein Dutzend ausfindig machen. Jetzt war der Graue gefordert. Wählte er den falschen Gang, mochte er sie direkt zu den Schwarzalben führen, und das wollte gewiss keiner von ihnen.
Doch die Entscheidung wurde ihnen abgenommen. Rechts von ihnen tauchten sieben oder acht untersetzte Gestalten aus dem diffusen Halblicht auf. Lautlos, unheimlich und gefährlich, genau wie im Wald.