Es war sehr still; das Knacken und Bersten der brennenden Scheite klang sonderbar unwirklich, als wäre es der einzige Laut in einer Welt aus Stille. Niemand sprach, auch nicht, als Talianna und Gedelfi näherkamen und sich schweigend in dem Kreis erschöpfter Gestalten niederließen. Während des Tages hatten sie alle auf ihre Weise auf das Unvorstellbare reagiert, das sie gesehen hatten: die einen mit Weinen und Wehklagen, andere mit Flüchen und Verwünschungen oder beidem, und eine Frau, deren Namen Talianna nicht kannte, war stundenlang durch die verkohlten Trümmer gestolpert und hatte den Namen ihres Mannes geschrien, bis einer der anderen sie mit einem Schlag ins Gesicht zum Verstummen gebracht hatte. Jetzt aber waren sie alle in brütendes Schweigen verfallen. Talianna registrierte mit einer Art teilnahmslosem Entsetzen, daß sie noch immer nur elf waren, und mit einem Male war sie vollkommen sicher, daß sie auch nicht mehr werden würden. Die anderen, die in blindem Entsetzen aus der Stadt und in die Minen jenseits des Flusses geflohen waren, würden nicht mehr kommen. Der Tod mußte sie auch in ihrem hundert Meter tief unter der Erde liegenden Versteck erreicht haben.
Mit dem Abend stieg ein kühler Hauch vom Fluß auf, und Talianna rutschte ein wenig näher ans Feuer heran. Absurderweise mußte sie daran denken, daß heute ein Feiertag gewesen war, der höchste Feiertag Stahldorfs überhaupt, und daß sie auch wenn es anders gekommen wäre jetzt um ein Feuer gesessen hätten, nur nicht elf, sondern dreitausend, und nicht verstummt vor Entsetzen und Schmerz, sondern lachend und fröhlich und viele von den Erwachsenen betrunken und ausgelassen.
Einen Moment lang fragte sie sich, ob es vielleicht eine besondere Ironie des Schicksals gewesen war, daß ihr dieser Tag das Leben gerettet hatte, ihr und den anderen. Wären sie und Gedelfi und die neun anderen Männer und Frauen nicht kurz vor Dunkelwerden noch einmal in den Wald hinaufgegangen, um Dämmerpilze für das große Festessen am nächsten Tag zu sammeln, wären auch sie jetzt tot. Und ganz plötzlich wußte sie, daß es kein Zufall gewesen war.
Stahldorf war eine gewaltige Stadt gewesen – wenigstens für die Begriffe eines zehnjährigen Kindes wie Talianna – und es gab im ganzen Jahr wohl nur einen einzigen Abend, an dem alle ihre Einwohner in den Häusern waren, in dem sie ihre Arbeit in den Minen oder am Fluß, ihre Felder und Kohlemeiler im Wald verließen und gemeinsam das Mitsommerfest vorbereiteten.
Oh ja, dachte sie bitter. Sie hatten genau gewußt, warum sie ausgerechnet an
Die Frau rechts neben Talianna bewegte sich. Sie sah auf, blickte Talianna und Gedelfi an und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Sie sah aus wie jemand, der unvermittelt aus einem sehr tiefen Schlaf erwacht war. »Sie sind alle tot«, murmelte sie. Dann lächelte sie, und ihre Augen funkelten wie die einer Wahnsinnigen. »Niemand lebt mehr. Sie sind alle tot.« Talianna erkannte sie jetzt – es war die Frau, die geschlagen worden war, weil sie stundenlang den Namen ihres Mannes geschrieen hatte. Jetzt waren ihre Tränen versiegt. Ihre Stimme klang überrascht und milde verärgert. »Sie sind selbst Schuld, nicht wahr? Sie haben es doch gewußt, oder nicht?« Die Frage war an niemanden gerichtet, und niemand antwortete; trotzdem richtete sie sich plötzlich stocksteif auf, sah sich mit kleinen hektischen Bewegungen um und fragte noch einmal: »Sie wußten es doch, oder?«
»Halt endlich das Maul, Weib«, murmelte der Mann, der sie schon einmal zum Schweigen gebracht hatte. Talianna wußte seinen Namen nicht, aber sie kannte ihn: in einer Stadt von dreitausend Seelen gab es kaum jemanden, den sie
»Aber sie hat recht«, sagte Gedelfi leise. »Und du weißt es. Wir alle haben es gewußt.«
Der Mann ballte zornig die Fäuste und warf Gedelfi einen drohenden Blick zu, den der Alte natürlich nicht sehen konnte. »Du sollst schweigen!« sagte er drohend.
»Ich kann euer Gewinsel nicht mehr hören!«