Читаем Die Vermessung der Welt полностью

So steige das Leben durch Stadien wachsender Verbergung seiner Organisation, bis es jenen Sprung mache, den man getrost den weitestmöglichen nennen könne: dem Blitzschlag der Vernunft. Hin zu ihm finde keine Entwicklung in Graden statt. Die zweitgrößte Beleidigung des Menschen sei die Sklaverei. Die größte jedoch die Idee, er stamme vom Affen ab.

Mensch und Affe! Daguerre lachte.

Humboldt legte den Kopf in den Nacken und schien den eigenen Worten nachzuhorchen. Das Verständnis des Kosmos sei weit fortgeschritten. Mit Fernrohren erkunde man das Universum, man kenne den Aufbau der Erde, ihr Gewicht und ihre Bahn, habe die Geschwindigkeit des Lichtes bestimmt, verstehe die Ströme des Meeres und die Bedingungen des Lebens, und bald werde man das letzte Rätsel, die Kraft der Magneten, gelöst haben. Das Ende des Wegs sei in Sicht, die Vermessung der Welt fast abgeschlossen. Der Kosmos werde ein begriffener sein, alle Schwierigkeiten menschlichen Anfangs, wie Angst, Krieg und Ausbeutung, würden in die Vergangenheit sinken, wozu gerade Deutschland und nicht zuletzt die Forscher dieser Versammlung den vordringlichsten Beitrag leisten müßten. Die Wissenschaft werde ein Zeitalter der Wohlfahrt herbeiführen, und wer könne wissen, ob sie nicht eines Tages sogar das Problem des Todes lösen wer-de. Einige Sekunden stand Humboldt unbewegt. Dann verbeugte er sich.

Seit der Rückkehr aus Paris, flüsterte Daguerre in den Applaus, sei der Baron nicht mehr der alte. Es falle ihm schwer, sich zu konzentrieren. Auch neige er zu Wiederholungen.

Gauß fragte, ob er wirklich aus Geldmangel zurückgekommen sei.

Vor allem eines Befehls wegen, sagte Daguerre. Der König habe nicht mehr dulden wollen, daß sein berühmtester Untertan im Ausland lebe. Humboldt habe alle Briefe des Hofes mit Ausflüchten beantwortet, aber der letzte habe eine so klare Anweisung enthalten, daß er sich nur durch offenen Bruch hätte widersetzen können. Und für den, Daguerre lächelte, hätten dem alten Herrn die Mittel gefehlt. Sein lang erwarteter Reisebericht habe das Publikum enttäuscht: Hunderte Seiten voller Meßergebnisse, kaum Persönliches, praktisch keine Abenteuer. Ein tragischer Umstand, der seinen Nachruhm schmälern werde. Ein berühmter Reisender werde nur, wer gute Geschichten hinterlasse. Der arme Mann habe einfach keine Ahnung, wie man ein Buch schreibe! Jetzt sitze er in Berlin, baue eine Sternwarte, habe tausend Projekte und gehe dem ganzen Stadtrat auf die Nerven. Die jüngeren Wissenschaftler lachten über ihn.

Er wisse ja nicht, wie es in Berlin sei. Gauß stand auf. Aber in Göttingen habe er keinen jungen Wissenschaftler getroffen, der kein Esel sei.

Sogar mit dem höchsten Berg sei es nichts, sagte Daguerre und folgte Gauß zum Ausgang. Man habe inzwischen herausgefunden, daß der Himalaja viel höhere habe. Ein schwerer Schlag für den alten Herrn. Jahrelang habe er es nicht wahrhaben wollen. Außerdem habe er sich nie davon erholt, daß seine Indienexpedition gescheitert sei.

Auf dem Weg zum Foyer rempelte Gauß eine Frau an, trat einem Mann auf den Fuß und schneuzte sich zweimal so laut, daß mehrere Offiziere ihn verächtlich ansahen. Er war es nicht gewöhnt, sich unter so vielen Menschen zu bewegen. Helfend faßte Daguerre nach seinem Ellenbogen, aber Gauß fuhr ihn an. Was ihm einfalle! Er überlegte einen Moment, dann sagte er: Salzlösung.

Aber ja, antwortete Daguerre mitleidig.

Gauß forderte ihn auf, nicht so blöd zu glotzen. Man könne Silberjodid mit gewöhnlicher Salzlösung fixieren.

Daguerre blieb abrupt stehen. Gauß schob sich durch das Getümmel auf Humboldt zu, den er am Eingang des Foyers gesehen hatte. Salzlösung, rief Daguerre hinter ihm. Wieso?

Dafür müsse man kein Chemiker sein, rief Gauß über seine Schulter, ein wenig Verstand reiche. Zögernd trat er ins Foyer, Applaus setzte ein, und hätte Humboldt ihn nicht sofort am Arm gefaßt und weitergeschoben, wäre er davongelaufen. Über dreihundert Menschen hatten auf ihn gewartet.

Die nächste halbe Stunde war eine Qual. Ein Kopf nach dem anderen schob sich vor ihn hin, eine Hand nach der anderen faßte nach der seinen und gab sie an die nächste weiter, während Humboldt ihm mit Flüsterstimme eine sinnlose Reihe von Namen ins Ohr sagte. Gauß überschlug, daß er daheim ziemlich genau ein Jahr und sieben Monate brauchte, um so vielen Leuten zu begegnen. Er wollte nach Hause. Die Hälfte der Männer trug Uniform, ein Drittel hatte Schnurrbärte. Nur ein Siebentel der Anwesenden waren Frauen, nur ein Viertel davon unter dreißig, nur zwei nicht häßlich, und nur eine hätte er gern berührt, aber Sekunden nachdem sie vor ihm geknickst hatte, war sie schon wieder weg. Ein Mann mit zweiunddreißig Ordensspangen hielt Gauß’ Hand nachlässig zwischen drei Fingern, mechanisch machte Gauß eine Verbeugung, der Kronprinz nickte und ging weiter.

Er fühle sich nicht wohl, sagte Gauß, er müsse ins Bett.

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