Sechs Stuhlreihen vor einem wackligen Stehpult. An den Wänden hingen schwarzrote Wimpel, etwa zwanzig Studenten warteten schon. Alle hatten Stöcke, einige trugen polnische Mützen, andere altdeutsche Hüte. Ein paar steckten in selbstgeschneiderten Schlapphosen mit breiten, mittelalterlichen Gürteln. An den Wänden angebrachte Fackeln warfen tanzende Schatten. Eugen setzte sich, ihm war schwindlig von der schlechten Luft und der Aufregung. Man sage, flüsterte jemand, daß er selbst kommen werde. Er oder einer wie er, man wisse es nicht, er sei in Freyburg an der Unstrut festgesetzt, doch angeblich ziehe er immer wieder inkognito durchs Land. Nicht auszudenken, wenn er es wirklich wäre. Das Herz hielte es ja nicht aus, ihn leibhaftig zu sehen.
Immer mehr Studenten trafen ein, stets in Zweiergruppen, stets eingehängt, meist über die Parole diskutierend, die offenbar keiner gewußt hatte. Hier und dort blät-terte einer in einem Gedichtband oder in der
Ein Mann stieg mit schweren Schritten die Treppe herab, und es wurde still. Er war schlank und sehr groß, hatte eine Glatze und einen langen grauen Bart. Es war, und seltsamerweise überraschte das Eugen nicht, ihr Tischnachbar in der Gastwirtschaft, der sich am Vortag in ihren Streit mit dem Polizisten gemischt hatte. Langsam, die Arme schwingend, ging er zum Pult. Dort streckte er sich, wartete, bis ein Student mit zittriger Hand, denn zunächst gelang es nicht, und er mußte es mehrmals versuchen, die Kerzen darauf angezündet hatte, und sagte dann mit trockener, hoher Stimme: Meinen Namen sollt ihr nicht wissen!
Ein Student weit hinten stöhnte auf. Ansonsten war es völlig still.
Der Bärtige hob den Arm, winkelte ihn an, wies mit der anderen Hand darauf und fragte, ob man erkenne, was das sei.
Keiner antwortete, keiner atmete. So sagte er es selbst: Muskeln.
Ihr Braven, fuhr er nach einer langen Pause fort, ihr Jungen, ihr Kraftvollen, ihr müßt stärker werden! Er räusperte sich. Denn wer denken wolle, tief und wesensberührend und bis zum Grund, habe den Körper zu straffen. Ein Denken ohne Muskeln sei schwach und matt, sei labbriges Franzosenzeug. Das Kind bete fürs Vaterland, der Jüngling schwärme, der Mann jedoch streite und leide. Er bückte sich und verharrte einen Moment, bevor er in rhythmischen Bewegungen sein Hosenbein hochkrempelte. Auch hier! Er klopfte mit der Faust an seine Wade. Rein und stark, felgaufschwungsfest, klimmzugshart, wer wolle, könne fühlen. Er richtete sich auf und stierte ein paar Sekunden in den Raum, bevor er mit Donnerstimme schrie: Wie dieses Bein sei, so müsse Deutschland werden!
Eugen brachte es fertig, sich umzusehen. Mehreren Zuhörern stand der Mund weit offen, vielen liefen Tränen über das Gesicht, einer hatte zitternd die Augen geschlossen, sein Nebenmann biß sich vor Erregung in die Finger. Eugen blinzelte. Die Luft war noch schlechter geworden, und durch das Schattenspiel der Fackeln war ihm, als wäre er Teil einer viel größeren Menge. Er bemühte sich, das in ihm aufsteigende Schluchzen zurückzudrängen .