Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Bonpland stehe in Paraguay unter Hausarrest. Nach der Rückkehr habe er sich in Paris nicht mehr zurechtgefunden. Ruhm, Alkohol, Frauen. Sein Leben habe Klarheit und Richtung verloren, die einzige Sache, die einem nie passieren dürfe. Eine Zeitlang sei er Vorstand der kaiserlichen Ziergärten gewesen und ein wunderbarer Orchideenzüchter. Nach Napoleons Sturz sei er wieder über den Ozean. Drüben habe er einen Gutshof und Familie, aber in einem der Bürgerkriege habe er sich den falschen Leuten angeschlossen, oder eben den richtigen, auf je-den Fall den Verlierern. Ein verrückter Diktator namens Francia, ein Doktor auch noch, habe ihn auf seinem Hof festgesetzt und halte ihn unter ständiger Todesdrohung. Nicht einmal Simon Bolivar habe etwas für Bonpland ausrichten können.

Schrecklich, sagte Gauß. Aber wer sei der Kerl eigentlich? Er habe nie von ihm gehört.

Der Vater

Eugen Gauß irrte durch Berlin. Ein Bettler hielt ihm seine offene Hand entgegen, ein Hund winselte an seinem Bein empor, ein Droschkenpferd hustete in sein Gesicht, ein Schutzmann herrschte ihn an, nicht herumzugammeln. An einer Ecke kam er mit einem jungen Priester ins Gespräch, aus der Provinz wie er, ebenfalls sehr eingeschüchtert.

Mathematik, sagte der Priester, interessant!

Ach, sagte Eugen.

Er heiße Julian, sagte der Priester.

Sie wünschten einander Glück und nahmen Abschied. Ein paar Schritte weiter sprach ihn eine Frau an. Die

Knie wurden ihm weich vor Schreck, denn von solchen Dingen hatte er gehört. Eilig ging er weiter, drehte sich auch nicht um, als sie ihm nachlief, und erfuhr nie, daß sie ihm bloß hatte sagen wollen, daß er seine Mütze verloren hatte. In einem Wirtshaus trank er zwei Gläser Bier. Die Arme verschränkt, betrachtete er die nasse Tischplatte. Er war noch nie so traurig gewesen. Nicht seines Vaters wegen, denn der war fast immer so, auch nicht wegen seiner Einsamkeit. Es lag an der Stadt selbst. Der Menge der Menschen, der Höhe der Häuser, dem schmutzigen Himmel. Er schrieb ein paar Gedichtzeilen. Sie gefielen ihm nicht. Er starrte vor sich hin, bis zwei Studenten in Schlapphosen und mit modisch langem Haar sich zu ihm setzten.

Göttingen, fragte der eine Student. Ein berüchtigter Platz. Da gehe es hoch her!

Eugen nickte verschwörerisch, obwohl er davon nichts wußte.

Aber sie werde kommen, sagte der andere Student, die Freiheit, trotz allem.

Sie werde sicherlich kommen, sagte Eugen.

Ungesäumt und wie ein Dieb in der Nacht, sagte der erste.

Nun wußten sie, daß sie etwas gemeinsam hatten.

Eine Stunde später waren sie auf dem Weg. Wie es unter Studenten Sitte war, ging Eugen mit dem einen von ihnen eingehängt, der andere folgte in dreißig Schritten Abstand, damit kein Gendarm sie aufhielt. Eugen verstand nicht, daß man so lange unterwegs sein konnte: Immer neue Straßen, immer noch eine Kreuzung, und auch der Vorrat an umhergehenden Leuten schien unerschöpflich. Wohin wollten die alle, und wie konnte man so leben?

Humboldts neue Universität, erzählte der Student neben Eugen, sei die beste der Welt, organisiert wie keine andere, mit den namhaftesten Lehrern des Landes. Der Staat fürchte sie wie die Hölle.

Humboldt habe eine Universität gegründet?

Der ältere, erklärte der Student. Der anständige. Nicht der Franzosenknecht, der den Krieg über in Paris gehockt habe. Sein Bruder habe ihn öffentlich zu den Waffen gerufen, aber er habe getan, als wäre das Vaterland nichts. Während der Besatzung habe er am Eingang seines Berliner Schlosses ein Schild anbringen lassen, man solle nicht plündern, der Eigentümer sei Mitglied der Pariser Akademie. Widerlich!

Die Straße führte steil aufwärts, dann schräg hinab. Vor einer Haustür standen zwei junge Männer und fragten nach der Losung.

Frei im Kampf.

Das sei die vom letzten Mal.

Der zweite Student trat zu ihnen. Die beiden flüsterten miteinander. Germania?

Schon lange nicht mehr.

Deutsch und frei?

Ach je. Die Wächter tauschten einen Blick. Dann sollten sie eben so hinein.

Über eine Treppe gelangten sie in einen nach Schimmel riechenden Kellerraum. Kisten standen auf dem Boden, in den Ecken stapelten sich Weinfässer. Die zwei Studenten schlugen ihre Rockaufschläge um und entblößten schwarzrote Kokarden, durchwirkt mit Goldfäden. Sie öffneten eine Luke im Boden. Eine enge Stiege führte in einen zweiten, tiefer gelegenen Keller.

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