Der Alte starrte mich an. Dann stieß er hervor:»Ein deutscher Mann entschuldigt sich nicht! Schon gar nicht bei einem Asiaten!«und warf die Tür krachend hinter sich zu.
»Was ist denn mit dem Briefmarkenhengst los?«fragte ich erstaunt.
»Der war doch immer sanft wie ein Lamm.«
»Er läuft seit ein paar Monaten in jede Wahlversammlung«, erwiderte Georgie aus dem Dunkel.
»Ach so!«
Orlow und Erna Bönig waren schon gegangen. Frau Zalewski begann plötzlich zu weinen.»Nehmen Sie es sich nicht zu sehr zu Herzen«, sagte ich.»Es ist ja doch nichts dran zu ändern.«
»Es ist zu schrecklich«, schluchzte sie.»Ich muß ausziehen, ich komme nicht darüber weg!«
»Sie werden schon darüber wegkommen«, sagte ich.»Ich habe einmal ein paar hundert Leute so gesehen. Gasvergiftete Engländer. Bin auch drüber weggekommen.«
Ich gab Georgie die Hand und ging in mein Zimmer. Es war dunkel. Unwillkürlich sah ich zum Fenster, ehe ich Licht machte. Dann horchte ich zu Pat hinüber. Sie schlief. Ich ging zum Schrank, holte die Flasche Kognak und schenkte mir ein Glas ein. Es war guter Kognak, und es war gut, ihn zu haben. Ich stellte die Flasche auf den Tisch. Das letzte Glas daraus hatte Hasse getrunken. Ich dachte darüber nach, daß es besser gewesen wäre, ihn nicht allein zu lassen. Ich war bedrückt, aber ich konnte mir keinen Vorwurf machen. Ich hatte so vieles mitgemacht, daß ich wußte, daß entweder alles, was man tat, ein Vorwurf war, oder daß es nie einen gab. Es war das Unglück Hasses gewesen, daß ihm das an einem Sonntag passiert war. An einem Wochentag wäre er ins Büro gegangen und vielleicht darüber hinweggekommen.
Ich trank noch einen Kognak. Es hatte keinen Zweck, darüber nachzudenken. Wer weiß, was einem selber noch alles bevorstand. Kein Mensch wußte, ob er den, den er jetzt bedauerte, nicht noch einmal für glücklich halten würde.
Ich hörte, wie Pat sich regte, und ging hinüber. Sie sah mir entgegen.
»Es ist doch zum Verzweifeln mit mir, Robby«, sagte sie.»Da habe ich schon wieder fest geschlafen.«
»Das ist doch gut«, erwiderte ich.
»Nein.«Sie stützte sich auf die Ellbogen.»Ich will nicht so viel schlafen.«
»Warum nicht? Ich möchte manchmal in einem durch die nächsten fünfzig Jahre verschlafen.«
»Aber du möchtest dann nicht fünfzig Jahre älter sein!«
»Das weiß ich nicht. Das kann man immer erst nachher sagen.«
»Bist du traurig?«fragte sie.
»Nein«, sagte ich.»Im Gegenteil. Ich habe gerade beschlossen, daß wir uns anziehen und ganz wunderbar essen gehen werden. Alle Dinge, die du gern magst Und dazu werden wir uns ein bißchen betrinken.«
»Das ist gut«, erwiderte sie.»Gehört das noch mit zu unserm großen Bankrott?«
»Ja«, sagte ich,»das gehört noch mit dazu.«
XXI
Mitte Oktober ließ Jaffé mich rufen. Es war zehn Uhr morgens, aber das Wetter war so trübe, daß in der Klinik noch Licht brannte. Es vermischte sich mit der Nebeldämmerung von draußen zu einer fahlen, krankhaften Helligkeit.
Jaffé saß allein in seinem großen Sprechzimmer. Er hob den kahlen, beglänzten Kopf, als ich eintrat. Mürrisch zeigte er auf das große Fenster, gegen das der Regen klatschte.»Was sagen Sie zu diesem verdammten Wetter?«
Ich zuckte die Achseln.»Hoffentlich hört es bald mal auf.«
»Das hört nicht auf.«
Er sah mich an und schwieg. Dann nahm er einen Bleistift vom Schreibtisch, betrachtete ihn, klopfte damit auf die Platte und legte ihn wieder beiseite.
»Ich kann mir denken, weshalb Sie mich gerufen haben«, sagte ich.
Jaffé knurrte irgend etwas. Ich wartete einen Augenblick. Dann sagte ich:»Pat muß wohl jetzt bald fort?«
»Ja…«
Jaffé starrte ärgerlich vor sich hin.»Ich hatte mit Ende Oktober gerechnet. Aber bei diesem Wetter…«Er griff nach dem silbernen Bleistift.
Der Wind warf einen Schauer Regen prasselnd gegen das Fenster. Es klang wie fernes Maschinengewehrfeuer.»Wann denken Sie, daß sie reisen soll?«fragte ich.
Er sah mich plötzlich von unten herauf voll an.»Morgen«, sagte er.
Ich spürte eine Sekunde keinen Boden unter den Füßen.
Die Luft war wie Watte und klebte mir in der Lunge. Dann ging es vorüber, und ich fragte, so ruhig ich konnte, aber meine Stimme kam weit her, als fragte ein anderer:»Ist es auf einmal so viel schlimmer geworden?«
Jaffé schüttelte heftig den Kopf und stand auf.»Wenn es sich so schnell verändert hätte, könnte sie doch überhaupt nicht fahren«, erklärte er unfreundlich.»Es ist nur besser. Bei diesem Wetter ist jeder Tag eine Gefahr. Erkältungen und so was…«
Er nahm ein paar Briefe vom Schreibtisch.»Ich habe schon alles vorbereitet. Sie brauchen nur abzufahren. Den Chefarzt des Sanatoriums kenne ich seit meiner Studienzeit. Er ist sehr tüchtig. Ich habe ihn genau informiert.«
Er gab mir die Briefe. Ich nahm sie, aber ich steckte sie nicht ein. Er sah mich an, dann blieb er vor mir stehen und legte eine Hand auf meinen Arm. Sie war leicht wie ein Vogelflügel, ich spürte sie überhaupt nicht.»Schwer«, sagte er leise mit veränderter Stimme,»ich weiß es. Deshalb habe ich auch damit gewartet, solange es ging.«
»Es ist nicht schwer…«, erwiderte ich.
Er wehrte ab.»Lassen Sie nur…«