Köster hielt in der Nähe des Friedhofs. Er fuhr weder zu Pat noch zu mir, hielt einfach irgendwo in der Nähe, er dachte wahrscheinlich, wir wollten allein sein. Wir stiegen aus. Die beiden sausten sofort weiter, ohne sich umzusehen. Ich blickte ihnen nach. Einen Augenblick war das sonderbar. Sie fuhren ab, meine Kameraden fuhren ab, und ich blieb zurück, blieb zurück.
Ich schüttelte es ab.»Komm«, sagte ich zu Pat, die mich ansah, als hätte sie etwas gespürt.
»Fahr mit«, sagte sie.
»Nein«, erwiderte ich.
»Du möchtest doch mitfahren…«
»Ach wo -«, sagte ich und wußte, daß es stimmte.»Komm…«
Wir gingen am Friedhof entlang, noch etwas schwankend vom Wind und vom Fahren.»Robby«, sagte Pat,»ich möchte lieber nach Hause.«
»Warum?«
»Ich will nicht, daß du meinetwegen etwas aufgibst.«
»Was fällt dir ein«, fragte ich,»was gebe ich denn auf?«
»Deine Kameraden…«
»Die gebe ich doch gar nicht auf – die treffe ich ja morgen früh schon wieder.«
»Du weißt schon, was ich meine«, sagte sie.»Du warst früher viel mehr mit ihnen zusammen.«
»Weil du nicht da warst«, erwiderte ich und schloß die Tür auf.
Sie schüttelte den Kopf.»Das ist etwas ganz anderes.«
»Natürlich ist es anders. Gott sei Dank.«
Ich nahm sie hoch und trug sie den Korridor entlang in mein Zimmer.»Du brauchst Kameraden«, sagte sie dicht an meinem Gesicht.
»Dich brauche ich auch«, erwiderte ich.
»Aber nicht so nötig…«
»Das werden wir ja noch sehen…«
Ich stieß die Tür auf und ließ sie zu Boden gleiten. Sie hielt mich fest.»Ich bin nur ein sehr schlechter Kamerad, Robby.«
»Das will ich hoffen«, sagte ich.»Ich will auch keine Frau als Kameraden. Ich will eine Geliebte.«
»Bin ich auch nicht«, murmelte sie.
»Was bist du denn?«
»Nichts Halbes und nichts Ganzes. Ein Fragment…«
»Das ist das Beste«, sagte ich.»Das regt die Phantasie an. Solche Frauen liebt man ewig. Fertige Frauen kriegt man leicht über. Wertvolle auch. Fragmente nie.«
Es war vier Uhr nachts. Ich hatte Pat nach Hause gebracht und ging zurück. Der Himmel war schon etwas hell geworden. Es roch nach Morgen.
Ich ging den Friedhof entlang, am Café International vorbei, nach Hause. Da öffnete sich die Tür einer Chauffeurkneipe neben dem Gewerkschaftshaus, und ein Mädchen kam heraus. Eine kleine Kappe, ein schäbiges rotes Mäntelchen, hohe Lackstiefel – ich war schon fast vorbei, da erkannte ich sie -»Lisa…«
»Sieht man dich auch mal wieder?«sagte sie.
»Wo kommst du denn her?«fragte ich.
Sie machte eine Bewegung.»Habe da gewartet. Dachte, du kämst vorbei. Ist ja so die Zeit, wo du nach Hause kommst.«»Ja, richtig…«»Kommst du mit?«fragte sie. Ich zögerte.»Es geht nicht…«»Du brauchst kein Geld«, sagte sie rasch.»Nicht deshalb«, antwortete ich unbedacht,»ich habe Geld.«»Ach so -«, sagte sie bitter und trat einen Schritt zurück. Ich griff nach ihrer Hand.»Nein, Lisa…«Schmal und blaß stand sie auf der leeren, grauen Straße. So hatte ich sie getroffen, vor Jahren, als ich stumpf und allein dahinlebte, ohne Gedanken und ohne Hoffnung. Sie war erst mißtrauisch gewesen, wie alle diese Mädchen, aber dann, als wir ein paarmal miteinander gesprochen hatten, zutraulich und anhänglich. Es war ein sonderbares Verhältnis gewesen – manchmal sah ich sie wochenlang nicht, und dann stand sie plötzlich irgendwo und wartete. Wir hatten beide nichts und niemand um diese Zeit – da war das bißchen Wärme und Beieinandersein, das wir uns geben konnten, für jeden wohl mehr gewesen als sonst. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen – seit ich Pat kannte, nicht mehr.
»Wo warst du denn so lange, Lisa?«
Sie zuckte die Achseln.»Ist ja egal. Wollte dich nur mal wiedersehen. Na, dann kann ich ja losziehen.«
»Wie geht's dir denn?«
»Laß man -«, sagte sie.»Streng dich nicht an.«
Ihr Mund zitterte. Sie sah verhungert aus.»Ich komme doch noch ein bißchen mit dir«, sagte ich.
Ihr armes, gleichgültiges Hurengesicht belebte sich und wurde kindlich. Ich kaufte unterwegs in einer der Chauffeurkneipen, die die ganze Nacht offen waren, ein paar Kleinigkeiten, damit sie etwas zu essen hatte. Sie wollte anfangs nicht; erst als ich sagte, ich hätte selbst Hunger, gab sie nach. Aber sie achtete darauf, daß ich nicht betrogen wurde und schlechte Stücke erhielt.
Sie wollte auch kein halbes Pfund Schinken; sie meinte, ein viertel wäre genug, wenn wir noch Frankfurter Würstchen nähmen. Aber ich blieb bei dem halben und zwei Büchsen Würstchen.
Sie wohnte in einer Dachkammer, die sie sich etwas eingerichtet hatte. Eine Petroleumlampe stand auf dem Tisch und neben dem Bett, auf einer Flasche, eine Kerze. An den Wänden hingen Bilder, die aus Zeitschriften ausgeschnitten und mit Reißnägeln befestigt waren. Auf der Kommode lagen ein paar Detektivromane; daneben ein Päckchen schweinischer Fotografien. Manche Besucher, besonders verheiratete, wollten so was sehen. Lisa fegte sie in die Schublade und holte ein zerschlissenes, aber sauberes Tischtuch heraus.