Zweimal müsste man ihr nicht wiederholen – Sonia verpasste nie eine Vorlesung. Bald lernte Sonia ihren zukünftigen Ehemann Benzion (Genadi) Aronowitsch Piatov, kennen, der etwa zehn Jahre älter war. 1943 wurde er in die Armee eingezogen (nachdem sein Vater in der Blockade von Leningrad umkam) und nahm Teil an den Kämpfen um die Pulkowski-Höhen, der Befreiung des Baltikums, Polens, Kaliningrads und Berlins. Er war Fernmelder mit einer schweren Spule auf dem Rücken. In den ersten fünf Nachkriegsjahren diente er in der sowjetischen Militäradministration Schwerins. Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Mechaniker in der Radiofabrik Kosizki, wo er bis zum Abteilungsleiter aufstieg und studierte fern,
In den Sommerferien nach dem zweiten Semester kam das junge Paar nach Puchowitschi und der Vater richtete für sie zunächst am Abend illegal eine traditionelle jüdische Hochzeit mit Chuppa und Minian und am nächsten Morgen eine legale Feier mit Kalb und «Gefilte Fisch». Unvergesslich!
Danach schien so, als ob Sonias Vater seinen irdischen Werk beendet hätte. Er war nicht krank, aber 1955 wurde er ganz plötzlich gelb geworden. Er ging nach Leningrad, wurden von den mehreren Professoren untersucht, aber nichts half. Im nächsten Sommer, kam die Tochter nach Puhovichi, um ihn zu pflegen. Er verstarb im Alter von nur noch 49 Jahren! Er war ein sehr angesehener Mann in seinem Dorf. Seinen Sarg haben die Bewohner auf den Armen zu Fuß zum Friedhof getragen.
Nach der Hochschule arbeitete Sonia zunächst als Bezirksärztin, danach als Abteilungsleiterin, danach als Inspektorin der Pädiatrie des Leninbezirks von Leningrad. Sonia arbeitete viel, auf anderthalb Stellen, bekam aber wenig. Deswegen arbeitete sie noch nebenher und gab zusätzlich noch Unterricht in der Berufsschule für angehende Krankenschwestern. Erst als sie in die erste Kategorie versetzt wurde, wurde es einfacher. Im Jahr 1973 bauten sich die Piatovs eine Kooperativ-Wohnung und konnten aus der kleinen Kommunal-Wohnung ausziehen.
Emigration
Sonias Schwester Nehama war 7 Jahre alt, als der Vater starb. Später heiratete sie und zog nach Israel. Sie hat zwei Söhne: Einer lebt in Witebsk, in Weißrussland, der andere in Israel.
Ende der 1980er Jahre bereiteten sich auch die Piatovs auf den Wegzug nach Israel vor. Als aber auch Deutschland seine Grenzen für Juden aus der Sowjetunion öffnete, nahmen sie 1992 diese Möglichkeit wahr. Unmittelbar bis zum Aufbruch arbeiteten Sofia Moiseevna und Genadi Aronowitsch. Um die ganzen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Emigration kümmerte sich ihr einziger Sohn Mischa, der den Namen des Vaters von Sonia bekam. Ebenso wie – jedenfalls teilweise – die Hochzeit Sonias, fand auch die Beschneidung ihres Sohnes im Geheimen statt. Er leistete den Militärdienst, machte einen Hochschulabschluss und wurde Ingenieur. Seine Ehefrau Larissa machte ihren Abschluss auf dem Leningrader Konservatorium und arbeitete als Musikpädagogin.
Zuerst emigrierte Sonias Sohn mit seiner Familie. Sie zogen nach Bad Krozingen im Schwarzwald. Sonias Enkelsohn studiert in Berlin und schreibt ab und zu für «Die Welt» und die Enkelin ist in der gymnasialen Oberstufe, spielt mehrere Musikinstrumente, singt hervorragend und tanzt.
Vor seinem Aufbruch hat Sonias Sohn alle notwendigen Dokumente für die Eltern vorbereitet. Aber man kann nicht alles voraussehen.
Mit 16 Jahren (1949?) erhielt Sonia einen Pass. Die Tatsache, dass sie 1933 geboren wurde, vermutete sie, aber am welchen Tag? Einer ihrer Freundinnen, Raja Schatz feierte ihren Geburtstag am 2. Januar, so nahm Sonia den 3. Januar für sich!
Bei der Vorbereitung der Papiere für die Abreise erhielt Sonia eine neue Geburtsurkunde. Die Beamtin schrieb zufällig bei der Ausstellung der Urkunde den Namen des Vaters falsch. Danach musste die Urkunde neu erstellt werden.
Bald konnten die Eltern ihren Kindern nach Deutschland folgen. Sprachlich gab es für Sofia Moiseevna praktisch keine Hürden: Ihr half ihr Jiddisch, das sie seit ihrer Kindheit kannte.
Die Piatovs schätzen ihr ruhiges Leben in Deutschland und bereuen die Emigration nicht. Der Ehemann ist hier schwer erkrankt, aber dank der deutschen medizinischen Versorgung lebte er noch über zwanzig Jahre. Er starb im März 2013, nach fast 60 Jahren Ehe mit seiner Frau.
НЕЛЛИ ЕВГЕНЬЕВНА ПОЗНЕР: «ПОЛОВИНКА», ИЛИ «ГВОЗДЬ ПРОГРАММЫ!»
Познеры и Лопатниковы
Нелли Евгеньевна Познер. По отцу и по фамилии – еврейка, по матери и по паспорту – русская.
Половинка, мишлинг – это и то, и другое? Или это ни то, ни другое? Когда как.