Er hatte einen Brief von General Narowtschatow gebracht, in dem Marina und die Kinder nach Moskau eingeladen wurden. Die erforderlichen Reisebescheinigungen lagen bei. Marina würde sich freuen. »Hier ist noch viel ungesagt«, nahm Bondarew den Faden auf.
»Ich kann alles erklären«, sagte Gruschin.
»Bitte.«
»Man hat General Narowtschatow zum Ersten Parteisekretär ernannt«, sagte Gruschin zurückhaltend. Er ließ eine hinreichend lange Pause eintreten, um Bondarew Gelegenheit zu geben, das volle Ausmaß dessen zu erfassen, was das bedeutete. »Es wird im Lauf der Woche noch öffentlich bekanntgegeben. Im Politbüro macht man sich gewisse Sorgen wegen dieses interstellaren Raumschiffs. Viele Marschälle der Sowjetunion glauben nicht an Außerirdische.«
»Man hält es also…«
»… für einen Trick der CIA«, ergänzte Gruschin.
»Unmöglich!«
»Das nehme ich auch an, ebenso wie der Vorsitzende Petrowski.«
»Und Genosse Trussow?«
Gruschin zuckte die Achseln. »Sie verstehen, ich sehe den Vorsitzenden des KGB nicht besonders häufig – allerdings hat man mir gesagt, daß der Verteidigungsrat einstimmig beschlossen hat, ein Wissenschaftler, der Zivilist ist, solle die Vorbereitungen zum Empfang der Außerirdischen leiten. Sie, Genosse.«
»Viel Ehre. Ich muß allerdings gestehen, daß ich für diese Aufgabe nicht besonders geeignet bin.«
»Wer ist das schon? Ich bin für den diplomatischen Dienst ausgebildet, doch – was für eine Ausbildung braucht jemand, der mit Lebewesen von einem anderen Stern zusammentreffen soll? Wir müssen tun, was uns aufgetragen ist.«
»Heißt daß, daß Sie als mein Vize mitkommen?« Es war üblich, für ein solches Projekt einen KGBFunktionär als Personalbeauftragten mitzuernennen. Bestimmt würde der KGB darauf bestehen, seine Leute an hoher Stelle innerhalb der entscheidenden Organisation einzuschleusen.
»Nein, diese Aufgabe übernimmt ein anderer«, sagte Gruschin. »Ich habe Befehl, nach Kosmograd aufzubrechen.«
»Aha, Sie haben eine Ausbildung als Kosmonaut?«
»Nein, aber als Pilot.« Gruschin sagte es mit dünnem Lächeln. »Genosse Akademiemitglied, Ihr Schwiegervater hat mir gesagt, ich könne Ihnen vertrauen, also sage ich Ihnen alles, was ich weiß. Das ist ungewöhnlich. Noch seltsamer ist, daß mir Genosse Trussow persönlich eingeschärft hat, ebenso zu verfahren.«
In der Tat ungewöhnlich. Also nahm man das Raumschiff im Politbüro sehr ernst. General Nikolai Narowtschatow hatte gesagt: »Du darfst dem Mann vom KGB vertrauen, so weit das bei jemandem vom KGB möglich ist.« Was das zu bedeuten hatte, war nicht ganz ersichtlich.
»Was also muß ich wissen?« fragte Bondarew.
»Nicht alle Militärs«, sagte Gruschin, »werden mit uns am selben Strang ziehen, und nicht alle werden Ihrem Kommando unterstehen. Sie werden in Baikonur großes Geschick brauchen, um zu erkennen, welche Marschälle Ihnen vertrauen und welche nicht. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß das nicht leicht sein wird.«
»Nein.« Das durfte er ohne Gefahr sagen. Mehr aber nicht.
»Außerdem ist von wesentlicher Bedeutung, daß die Amerikaner keinen Einblick in das Ausmaß unserer Mobilmachung bekommen.«
»Ich verstehe.«
»Wer gegenwärtig in Kosmograd ist, und wen wir einladen werden.«
»Einladen?«
»Amerikaner. Sie haben uns bereits gebeten, einige ihrer Leute an Bord zu lassen, wenn das Raumschiff kommt. Das Politbüro wünscht binnen drei Tagen Ihre Empfehlung zu erfahren.« Er ließ eine Pause eintreten. »Ich denke allerdings, daß man die Amerikaner einladen wird, ganz gleich, was Sie dazu sagen.«
»Aha. Und wenn die USA den Wunsch haben, werden andere Völker folgen.« Er zuckte die Achseln. »Ich sehe nicht, wie die alle in Kosmograd unterkommen sollen.«
»Ich auch nicht, aber das werde ich Ihnen mitteilen, sobald ich dort bin. Ebenso werde ich Sie über die an Bord befindliche Besatzung in Kenntnis setzen. Selbstverständlich bekommen Sie auch Berichte von Kommandant Rogatschow.«
»Ein guter Mann«, sagte Bondarew.
Mit bauernschlauem Lächeln sagte Gruschin, an dem sonst nicht viel an einen Bauern erinnerte: »Geradezu legendär – aber nicht alle sehen ihn so wie Sie.«
»Warum nicht?«
»Weil er Schwierigkeiten macht, wenn er vermutet, daß seine Mission in Gefahr ist. Aber technisch ist er der beste Kommandant, den wir für Kosmograd haben.«
»Doch Sie zweifeln – woran? Gewiß nicht an seiner Loyalität?«
»Nicht an seiner Loyalität zur Sowjetunion.«
»Aha.« In dieser Äußerung hatte etwas mitgeschwungen. Gelegentlich hatte es Rogatschow an der nötigen Achtung vor der Partei fehlen lassen… »Und in welcher Hinsicht macht er Schwierigkeiten?«