Als er die Außenstelle in New York City übernahm, hatte er sie in ganz schlechtem Zustand vorgefunden. Moral und Stimmung waren schlecht, die Aufklärungsraten lagen unter dem Durchschnitt. Das Office hatte einen Wasserkopf, es gab zu viele Schreibtischtäter. Letzteres Problem hatte er durch eine Reihe von Versetzungen und Vorruhestandsregelungen gelöst. Er war zwar von Natur aus kein Mikromanager, aber er hatte sich die Zeit genommen, jede Abteilung unter die Lupe zu nehmen, die vielversprechendsten Leute aufzuspüren und ihnen Posten mit größerer Verantwortung anzuvertrauen – selbst wenn das bedeutete, sie jenen Kollegen vor die Nase zu setzen, die schon länger beim FBI waren. Die Umwandlung der Außenstelle in eine echte Leistungsgesellschaft hatte das Problem mit der Arbeitsmoral gelöst. So hatte er trotz seiner Tätigkeit beim OPR – so wie jeder in den Strafverfolgungsbehörden misstrauten auch FBI-Agenten allen, die in der Abteilung Interne Ermittlungen gearbeitet hatten – den Respekt und die Loyalität seiner Untergebenen gewonnen. Jetzt lief es in der New Yorker Außenstelle endlich wieder rund, alle Rädchen griffen ineinander. Selbst die Aufklärungszahlen gingen langsam wieder nach oben. Es war ihm gelungen, eine Wende einzuleiten, und das in einer einzigen Saison. Er hatte seinen Job gut gemacht, aber er achtete sehr darauf, jeden Anflug von Selbstbeglückwünschung zu vermeiden.
Trotz all dieser Erfolge gab es da allerdings immer noch ein Problem, das er angehen musste. Eine heikle Personalangelegenheit, die ihm sein Amtsvorgänger vererbt hatte. Er hatte sich diese ganz besondere Schwierigkeit bis ganz zum Schluss aufgehoben.
Im Laufe der Jahre hatte sich Pickett mit mehr als genug lästigen Agenten herumgeschlagen. Seiner Erfahrung nach waren solche Leute entweder antisoziale Einzelgänger oder komplexbeladene Typen, die mit reichlich viel persönlichen Problemen beim FBI angefangen hatten. Wenn sie nichts brachten, dann zögerte er auch nicht, sie Knall auf Fall zu versetzen – Nebraska benötigte ja schließlich auch Außenagenten. Wenn sie vielversprechend zu sein schienen beziehungsweise beeindruckende Zahlen vorweisen konnten, dann galt es, sie umzuerziehen. Dann stieß er sie unsanft aus ihrer Komfortzone, brachte sie in einem ihnen unbekannten Umfeld unter, übertrug ihnen eine Aufgabe, die ihnen völlig unvertraut war. Und er sorgte dafür, dass sie wussten, dass sie unter Beobachtung standen. Diese Technik hatte bei den Verhören und den internen Ermittlungen über Dienstvergehen funktioniert – und wirkte ebenso gut, wenn es darum ging, einzelgängerische Agenten in die FBI-Familie zurückzuholen.
Falls man der Akte trauen konnte, war dieser Agent so einzelgängerisch, wie man nur sein konnte. Aber Pickett hatte die Personalakte gründlich durchgearbeitet – zumindest ihre nicht klassifizierten Bereiche – und einen Handlungsplan entworfen, mit dem er das Problem angehen wollte.
Er sah zur Wanduhr. Punkt dreizehn Uhr. Wie aufs Stichwort ging die Tür auf, und ein Mann betrat die Sauna. Pickett sah mit geübter Lässigkeit hin und musste sich zusammenreißen, nicht noch einmal hinzuschauen. Der Mann war groß gewachsen und schlank und so blond, dass die sorgfältig gestutzten Haare fast weiß wirkten. Die Augen waren gletscherfarben und so kalt und undurchsichtig wie das Eis, dem sie glichen. Aber anstatt dass er nackt war und ein Saunatuch um die Taille hatte, trug der Mann einen schwarzen Anzug, tadellos geschneidert und zugeknöpft, dazu ein gestärktes weißes Hemd mit perfekt gebundener Krawatte. Die Schuhe waren blank poliert und von der teuren, maßgefertigten Sorte. Pickett war fassungslos. Von allen Gedanken, die sich in seinen Kopf geschlichen hatten, stach einer heraus:
Der andere Mann in der Sauna, der unweit der Tür saß, sah hoch, runzelte kurz überrascht die Stirn und senkte den Blick wieder.
Schnell hatte Pickett seine Fassung wiedergewonnen. Der Agent stand, wie er sehr wohl wusste, in dem Ruf, ein ungeheurer Exzentriker zu sein. Darum hatte er sich auch nicht nur dazu entschlossen, seine Dienstanweisungen zu verschärfen, sondern auch den Ort zu ändern, um das zu besprechen. Seiner Erfahrung nach halfen atypische Situationen – wie zum Beispiel, sich nackt in einer Sauna zu treffen –, schwierige Untergebene aus dem Gleichgewicht zu bringen, wodurch er dann die Oberhand gewann.
Mal abwarten, wie sich die Dinge entwickelten.
Bevor er irgendetwas sagte, hob er die hölzerne Schöpfkelle aus dem Aufgusseimer und füllte sie, dann goss er das Wasser auf die Saunasteine. Eine zufriedenstellend dicke Dampfwolke waberte durch den Raum.