»Wollen Sie damit sagen, dass sie Drogenprobleme hatte?«
»Probleme? Sie war süchtig!«
»Hat sie ab und zu Drogen genommen, oder war sie wirklich suchtkrank?«
»Sie war zweimal in der Reha, in dieser Promi-Klinik in Rancho Santa Fe, wie heißt die noch gleich? ›Der wunderbare Weg‹.« Wieder lachte sie abfällig.
Der Martini war ausgetrunken, der Butler brachte ihr ungefragt noch einen und nahm das leere Glas mit.
»Um welche Drogen geht es hier? Kokain?«
»Um alle! Und Ozmian hat es ihr einfach erlaubt! Ein Opportunist der übelsten Sorte. Schrecklicher Vater.«
Endlich kam Harriman zum Kern der Sache. »Wissen Sie, Mrs. Ozmian, von irgendetwas in Grace’ Vergangenheit, das zu ihrer Ermordung geführt haben könnte?«
»So ein Mädchen nimmt
»Gab es irgendetwas, das sie vielleicht getan hat, beispielsweise Drogen kaufen oder verkaufen, sich mit Kreisen des organisierten Verbrechens einlassen oder irgendetwas anderes, das zu ihrer Ermordung führte?«
»Was das Dealen mit Drogen betrifft, darüber weiß ich nichts. Aber es gab da etwas in ihrer Vergangenheit. Etwas Fürchterliches.« Sie zögerte. »Ich sollte das wahrscheinlich nicht sagen – Ozmian hat mich ja dazu verpflichtet, im Rahmen der Scheidung einen Geheimhaltungsvertrag zu unterschreiben …«
Sie verstummte abrupt.
Harriman kam sich vor wie ein Staatsanwalt, dessen Spitzhacke gerade eben von einer Ader aus purem Gold abgeglitten war. Jetzt musste er nur noch darin herumstochern und etwas Erde wegwischen. Aber er blieb ganz cool. Er hatte gelernt, dass man eine Frau wie diese, statt dass man mit einer bohrenden Frage nachfasste, am ehesten dadurch aus der Reserve lockte, dass man schwieg. Die meisten Menschen sahen sich genötigt, in die Stille hinein irgendetwas zu sagen. Er tat so, als sähe er seine Notizen durch, und wartete, bis der zweite Martini Wirkung zeigte.
»Nun, Ihnen kann ich es ja sagen. Jetzt, wo sie gestorben ist, ist die Geheimhaltungsvereinbarung doch sicher nicht mehr gültig, oder?«
Wieder Stille. Bryce war klug genug, eine derartige Frage nicht zu beantworten.
»Ganz zum Ende unserer Ehe …«, sie atmete tief durch, »hat Grace, betrunken
»O nein«, sagte Harriman aufrichtig entsetzt.
»O
»Und was ist dann geschehen?«
»Daddy hat sie rausgepaukt.«
»Wie?«
»Mithilfe eines gerissenen Anwalts. Und mit Geld.«
»Und wo hat sich das Ganze zugetragen?«
»In Beverly Hills. Wo sonst? Ozmian hat sämtliche Akten versiegeln lassen.« Sie hielt inne, trank ihr zweites Glas aus und stellte es triumphierend auf den Tisch zurück. »Nicht, dass das jetzt noch eine Rolle spielt – nicht für sie. Wie es aussieht, hat das Glück das Mädchen am Ende verlassen.«
9
Howard Longstreets Büro im großen FBI-Gebäude am Federal Plaza sah genauso aus, wie Pendergast es in Erinnerung hatte: spärlich eingerichtet, voll mit Büchern zu jedem nur erdenklichen Thema – und ohne Computer. Eine Wanduhr verriet jedem, den es interessierte, dass es zehn Minuten vor fünf war. Aufgrund der beiden staubigen Ohrensessel und dem kleinen Beistelltisch auf einem handgeknüpften Kaschanteppich in der Mitte sah das Zimmer eher aus wie der Salon in einem alten englischen Herrenklub als das Büro einer Strafverfolgungsbehörde.
Der hochgewachsene Longstreet saß in einem der Ohrensessel, der unvermeidliche »Arnold Palmer« stand auf einem Untersetzer auf dem Tisch. Er änderte seine Sitzhaltung und strich sich mit der Hand durch die langen grauen Haare, dann machte er mit derselben Hand eine Geste, Pendergast solle in dem anderen Sessel Platz nehmen.
Pendergast setzte sich. Longstreet trank einen Schluck und stellte sein Glas zurück auf den Untersetzer. Demonstrativ bot er Pendergast keinen Drink an.
Die Stille dehnte und dehnte sich, bis der Stellvertretende Direktor Nachrichtendienst des FBI knapp und ein wenig schneidig sagte: »Agent Pendergast, ich habe inzwischen Ihren Bericht vorliegen. Ich möchte insbesondere Ihre Meinung zu der Frage hören, ob die beiden Morde von ein und derselben Person begangen wurden.«
»Ich fürchte, ich habe dem Ihnen zum ersten Mord vorliegenden Ermittlungsbericht nichts hinzuzufügen.«
»Und was ist mit dem zweiten Mord?«
»In den Fall bin ich nicht involviert.«
Ein Ausdruck der Überraschung huschte über Longstreets Gesicht. »Sie sind nicht
»Ich habe keine Anweisung erhalten, in dem Mord zu ermitteln. Es scheint kein Fall für die Bundespolizei zu sein, Sir, es sei denn, die beiden Morde hängen zusammen.«