Als junger Mann, der vor den Toren Bostons aufgewachsen war, hatte sich Ozmian nach dem College leidenschaftlich in eine Reihe ungewöhnlicher Hobbys vertieft – Komposition, Kryptografie, Fliegenfischen und sogar eine Zeit lang Großwildjagd. Doch seine Hobbys blieben auf der Strecke, als er eine Möglichkeit entdeckte, sein Interesse für Musik und Ziffern mit dem fanatischen Streben nach strengem Code zu verbinden. Es war diese Vermählung seiner Interessen, die ihm dabei half, jene Streaming- und Zeichencodierungstechnologien zu entwickeln, die schließlich das Rückgrat von DigiFlood bilden sollten.
Doch jetzt kehrte er – wie es so oft geschah – im Geiste zum Mord an seiner einzigen Tochter zurück … und an den Schmutz über sie, den dieser mutterlose Arschficker von einem Reporter, Bryce Harriman, über sie verbreitet hatte.
Ein lautes, dreimaliges Klopfen an der Bürotür unterbrach seine schweifenden Gedanken.
»Herein«, rief Ozmian, ohne den Blick vom Fenster zu lassen.
Er hörte, wie sich die Tür öffnete, die leisen Schritte von jemandem, der eintrat, wie sich die Tür schloss. Er blickte sich nicht um, denn er wusste ja sehr gut, wer da soeben das Zimmer betreten hatte. Seine ungewöhnlichste und geheimnisvollste Angestellte, die den vornehmen, uralten und ungewöhnlich langen Namen Maria Isabel Duarte Alves-Vettoretto trug. Im Lauf der Jahre hatte Alves-Vettoretto in vielen Funktionen für Ozmian gearbeitet: als rechte Hand, Vertraute, Terminüberwacherin – und Vollstreckerin. Er spürte, wie sie in einer respektvollen Entfernung von seinem Schreibtisch stehen blieb, und drehte sich zu ihr um. Sie war gedrungen, sportlich und ruhig, hatte dichtes mahagonifarbenes Haar und trug eng sitzende Jeans zu einer Seidenbluse mit Perlenhalsband. In all den Jahren hatte er niemanden gefunden, der auf so skrupellose Art und Weise effektiv war. Sie war Portugiesin, so schien es, mit altehrwürdigen Vorstellungen von Ehre, Rache und Treue, und ihre Vorfahren waren seit achthundert Jahren in machiavellistische Intrigen verstrickt. In ihr war diese Kunst zur Vollendung gekommen.
»Schießen Sie los«, sagte Ozmian, wandte sich von ihrem intensiven Blick ab und schaute wieder aus dem Fenster.
»Unsere privaten Ermittler haben einen vorläufigen Bericht über diesen Harriman vorgelegt.«
»Geben Sie mir die Kurzversion.«
»Alle Reporter sind von zweifelhaftem Charakter, deshalb lasse ich die lässlichen Sünden weg. Einmal abgesehen davon, dass er ein sensationsheischender, Rettungswagen verfolgender, Gerüchte verbreitender, hinterhältiger Journalist ist, ist er in Ordnung. Das Produkt teurer Privatschulen, die Familie gehört zur Ostküsten-Oberschicht – deren Geld in seiner Generation allerdings langsam versandet ist. Kurzum: Er ist sauber. Keine früheren Verurteilungen. Keine Drogen. Er hat mal als Reporter bei der
»Reden Sie weiter.«
»Seine Freundin – sie waren seit dem College zusammen – ist vor drei Jahren an Krebs verstorben. Er war sehr umtriebig und hat versucht, ihr in ihrem Kampf gegen die Krankheit beizustehen. Und nach ihrem Tod wurde das für ihn zu einer Art Mission. Er hat Artikel über Krebsvorsorge und mögliche neue Heilverfahren geschrieben und verschiedenen gemeinnützigen Krebspräventionsgruppen zu jeder Menge Publicity verholfen. Außerdem hat er, auch wenn er als Reporter nicht besonders viel verdient, im Lauf der Jahre für verschiedene Anti-Krebskampagnen gespendet, einiges davon aus eigener Tasche und einiges aus der Familienstiftung, insbesondere für die Amerikanische Krebsgesellschaft. Außerdem hat er selbst eine kleine Wohltätigkeitsstiftung auf den Namen seiner verstorbenen Freundin gegründet.«
Ozmian wischte das mit einer abschätzigen Handbewegung beiseite. Harrimans Wohltaten interessierten ihn nicht. »Was lohnt sich näher anzusehen, wie Sie sagten?«
»Es geht nur darum, dass dieses Interesse eine Möglichkeit nahelegt … wie man extremen Druck ausüben kann. Sollte sich die Notwendigkeit ergeben.«
»Hat er sonst noch etwas über meine Tochter geschrieben?«
»Nein. Seine jüngsten Artikel konzentrieren sich alle auf die nachfolgenden Morde. Er schlachtet sie aus, so weit wie nur irgend möglich.«
Es entstand eine Pause, während derer Ozmian die Skyline hinter den Fenstern betrachtete.
»Wie soll ich weiter vorgehen?«, fragte Alves-Vettoretto.