Der Verhandler sprach jetzt mit ruhiger Stimme auf ihn ein. Er verfolgte dabei den übliche Ansatz, den Täter zur Aufgabe zu bewegen und aufzufordern, rauszukommen; niemandem würde etwas zuleide getan. Zum Glück war der Typ allein in der Wohnung und hatte keine Geisel genommen. Die Scharfschützen waren in Stellung gebracht, aber D’Agosta hatte der Regung widerstanden, ihnen den Befehl zu geben, auf Sicht zu schießen. Er spürte förmlich den Druck rings um sich herum, die Kette der Ereignisse in Gang zu setzen, die dazu führen würden, dass Lasher ums Leben kam. Das Ganze würde ziemlich leicht werden, und niemand würde ihm deswegen Vorwürfe machen.
Weitere zehn Minuten verstrichen. Der Verhandler kam nicht weiter. Lasher hatte die Anti-Establishment-Brause getrunken und war deshalb überzeugt, dass man ihn erschießen würde, wenn er sich ergäbe. Sie würden ihn nicht am Leben lassen, sagte er zum Verhandler, weil er zu viel wisse. Er allein wisse, was sie im Schilde führten, er kenne ihre heimtückischen Pläne, und darum würden sie ihn hinrichten.
Der Hurensohn ließ nicht mit sich reden. D’Agosta fror minütlich mehr und wurde immer ungeduldiger. Je länger das hier so weiterging, desto schlechter würde er als Einsatzleiter dastehen.
»Also gut«, sagte er. »Zieht den Verhandler zurück. Macht euch bereit, eine Blendgranate durchs Dach zu werfen und gleichzeitig durch die Tür und die Wand reinzugehen. Auf meinen Befehl hin. Ich komme hoch.«
Er wollte vor Ort sein, wollte das hier nicht aus der Ferne koordinieren. Er ging den Häuserblock entlang und betrat das schäbige Gebäude, vorbei an den Notfalleinheiten, der Diensthundestaffel, den schweren Lastwagen und dem gepanzerten Hubsteiger.
Er stieg die Treppe in den dritten Stock hinauf, eine Etage unter dem Geschehen. Dort vergewisserte er sich, dass die vier Männer auf dem Dach sorgfältig und leise ein Loch bis hinunter zur Trockenwanddecke der Wohnung gebohrt hatten und dieses Loch so präpariert wurde, dass man es durchstoßen und eine Blendgranate dort hindurchwerfen konnte. Die beiden Spezialeinsatzkommandos im vierten Stock bestätigten, dass sie Stellung bezogen hatten und bereit waren, loszulegen.
»Okay«, sagte D’Agosta ins Funkgerät. »Kann losgehen.«
Kurz darauf hörte er das
»Entwaffnet und festgenommen«, kam die Erfolgsmeldung über Funk.
D’Agosta rannte die Treppe hoch, zwei Stufen auf einmal nehmend, und betrat die Wohnung. Da war Lasher, auf dem Boden liegend, mit Handschellen gefesselt, zwei Cops über ihm, inmitten eines winzigen, zugemüllten und stinkenden Lochs von einer Wohnung. Er wurde hochgehoben, er wimmerte. Er war ungefähr eins zweiundsiebzig groß und hager, hatte Akne und einen Zauselbart. Er blutete stark aus der Schulter und auch aus dem Unterleib.
»Er hat auf uns geschossen, Sir«, sagte einer der Beamten, »wir haben das Feuer nur erwidert, um ihn kampfunfähig zu machen.«
»Gut.« D’Agosta trat einen Schritt zur Seite, als der Sanitäter hereinkam, um die Schusswunden zu behandeln.
»Ihr habt mich verletzt!«, plapperte Lasher, während D’Agosta sah, dass er sich nass pinkelte.
D’Agosta sah sich um. Poster mit Death-Metal-Gruppen an den Wänden, ein unordentlicher Stapel Waffen in einer Ecke, ein halbes Dutzend auseinandergebaute Rechner und haufenweise elektronische Geräte unbekannter Funktion. Die ganze Bude war komisch-absurd-furchterregend, so wie das Filmset eines Horrorfilms. Mit so merkwürdigen Verhältnissen hatte D’Agosta nicht gerechnet. Er blickte auf Lasher hinunter. Der Kerl zitterte am ganzen Leib, die Haare waren voller Gipsstaub, vor ihm auf dem vollgemüllten Fußboden bildete sich eine Blutlache – war das echt der Typ, der Cantucci gestalkt und mit derart skrupelloser Präzision umgebracht hatte? D’Agosta sah das einfach nicht. Andererseits aber war unbestreitbar, dass dieser kleine Arsch gerade eben einen Polizisten mit einer abgesägten Schrotflinte angeschossen und anschließend versucht hatte, noch ein paar weitere umzulegen.
»Das tut weh«, sagte Lasher mit leiserer Stimme, dann verlor er das Bewusstsein.
»Schafft ihn ins Bellevue.« Tief seufzend wandte sich D’Agosta ab. Sobald der Dreckskerl wieder in stabilem Zustand war, würde er ihn befragen – seine Verletzungen waren ernst, aber wohl nicht tödlich. Aber nicht mehr heute Abend. Er musste ein wenig Schlaf bekommen, und der Stapel an Papierkram wurde auch höher und höher.
Verflucht, er hatte rasende Kopfschmerzen.
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