Seufzend setzte er sich zurück an den Tisch und blätterte noch einmal in den drei Stapeln. Die Mordserie war irre seltsam – drei Enthauptungen, alle in derselben Gegend, alle im Zeitraum von knapp zwei Wochen, doch es bestand kein klarer Zusammenhang zwischen ihnen. Da waren drei Leute mit unterschiedlicher Herkunft, aus unterschiedlichen sozialen Schichten, von unterschiedlichem Alter, mit unterschiedlichen Berufen und Neigungen. Unterschiedlich in jeder Hinsicht. Es war verrückt.
Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Vielleicht sollte er noch einmal zu der Wohnung hinfahren und versuchen, noch ein paar mehr Informationen über den Schusswechsel von gestern Abend zu sammeln. Die Cops hatten ja echt die Kavallerie losgeschickt. Er wusste, es ging da um eine Person von Interesse im Mordfall Cantucci. Aber mehr hatte er nicht rauskriegen können.
Er glaubte einfach nicht an die komplizierten Theorien über Nachahmer und mehrere Mörder und sich widersprechende Motive. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es
Plötzlich hielt er inne.
Vielleicht war doch nicht alles an den drei Opfern unterschiedlich. Alles schien ganz einfach zu sein. So sauber. Drei reiche Ärsche, die es – in den Augen des Mörders – verdienten zu sterben. Je länger Harriman darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es.
Mehr noch: Es war die einzige Theorie, die Sinn ergab.
Mit einem Mal überkam ihn diese kribbelnde Erregung, die er nur dann verspürte, wenn er etwas ganz Großem auf der Spur war.
Doch er musste aufpassen – sehr gut aufpassen. Es handelte sich um eine Theorie. Er wollte schließlich nicht erleben, dass sich Ähnliches wie vor ein paar Jahren wiederholte, mit seiner Story über diesen Van Menck, diesen verrückten alten Wissenschaftler, der New Yorks bevorstehende Zerstörung durch einen großen Brand vorhersagte. Mit diesem Artikel hatte er sich gehörig in die Nesseln gesetzt. Nein, wenn er hier tatsächlich irgendetwas auf der Spur war, dann musste er eine Theorie haben, die von soliden Recherchen, Fakten und Beweisen gestützt wurde.
Langsam und aufmerksam sah er erst den ersten Stapel durch, dann den zweiten, schließlich den dritten, während er gleichzeitig genau überlegte und nach Lücken in der Geschichte suchte. Da waren also drei Menschen mit offenkundig schlechtem Charakter. Diese Ozmian, das reiche Partygirl; Cantucci, Mafiaanwalt; Bogatschjow, Waffenhändler und ein komplettes Arschloch. Aber Grace Ozmian hütete, wie sich herausstellte, ein schreckliches Geheimnis. Und er würde wetten, dass auch in der Vergangenheit der anderen beiden etwas grotesk Böses schlummerte.
Wieder begann er, in der Wohnung auf und ab zu gehen, jetzt aber anders: Er war aufgeregt, beseelt. Kein Mensch war dahintergekommen. Die Polizei hatte keine Ahnung. Doch je genauer er seine Entdeckung betrachtete, aus jedem erdenklichen Blickwinkel, desto sicherer … nein, desto
Harriman ging zurück ins Wohnzimmer, setzte sich an den Queen-Anne-Tisch und zog den Laptop zu sich heran. Eine Minute lang saß er regungslos da und ordnete seine Gedanken. Und dann begann er zu tippen, langsam zunächst, dann schneller und schneller, die Tasten klapperten bis weit in die wolkenverhangene Nacht. Dies würde eine Weihnachtsgeschichte werden, die niemand so schnell vergessen würde.
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Der Enthaupter enttarnt!
Leichen ohne Kopf – die Zusammenhänge
Bryce Harriman, New York Post – 25. Dezember
Seit fast zwei Wochen steht New York nun schon unter Schock. Ein Mörder geht um. Drei Menschen wurden von einem unbekannten Täter oder Tätern brutal ermordet, ihre Köpfe wurden entfernt und fortgeschafft. Sechs weitere Personen, Wachleute, die offenbar im Weg standen, wurden ebenfalls ermordet.