Читаем Liebe Deinen Nächsten полностью

Marill nahm sie an einem Sonntagnachmittag, als es keinen Eintritt kostete, mit in den Louvre. »Ihr braucht im Winter etwas, um eure Zeit hinzubringen«, sagte er. »Das Problem des Emigranten ist der Hunger, die Bleibe und die Zeit, mit der er nichts anfangen kann, weil er nicht arbeiten darf. Der Hunger und die Sorge, wo er bleiben kann, das sind zwei Todfeinde, gegen die er kämpfen muß – aber die Zeit, die viele leere, ungenutzte Zeit ist der schleichende Feind, der seine Energie zerfrißt, das Warten, das ihn müde macht, die schattenhafte Angst, die ihn lähmt. Die beiden andern fallen ihn von vorne an, und er muß sich wehren oder untergehen – aber die Zeit kommt von hinten und zersetzt ihm das Blut. Ihr seid jung. Hockt nicht in den Cafés, jammert nicht, werdet nicht müde. Wenn’s mal schlimm wird, geht in den großen Wartesaal von Paris: den Louvre. Er ist gut geheizt im Winter. Besser vor einem Delacroix, einem Rembrandt oder einem van Gogh zu trauern als vor einem Schnaps oder im Kreise ohnmächtiger Klage und Wut. Das sage ich euch, Marill, der auch lieber vor einem Schnaps sitzt. Sonst würde ich euch diese lehrhafte Rede nicht halten.«

Sie wanderten durch das große Kunstdämmer des Louvre – vorbei an den Jahrhunderten, vorbei an den steinernen Königen Ägyptens, den Göttern Griechenlands, den Cäsaren Roms – vorbei an babylonischen Altären, an persischen Teppichen und flämischen Gobelins – vorbei an den Bildern der größten Herzen, an Rembrandt, Goya, Greco, Leonardo, Dürer – durch endlose Säle und Korridore, bis sie zu den Räumen kamen, wo die Bilder der Impressionisten hingen.

Sie setzten sich auf eines der Sofas, die in der Mitte standen. Von den Wänden leuchteten die Landschaften Cezannes, van Goghs und Monets, die Tänzerinnen Degas’, die pastellhaften Frauenköpfe Renoirs und die farbigen Szenen Manets. Es war still, und niemand außer ihnen war da, und allmählich erschien es Kern und Ruth, als säßen sie in einem verzauberten Turm, und die Bilder seien Fenster zu fernen Welten – zu Gärten ernster Lebensfreude, zu weiten Gefühlen, zu großen Träumen und zu einer unzerstörbaren Landschaft der Seele, jenseits von Willkür, Angst und Rechtlosigkeit.

»Emigranten!« sagte Marill. »Die alle dort waren auch Emigranten! Gejagt, verlacht, ’rausgeschmissen, ohne Bleibe oft, verhungert, manche angepöbelt und ignoriert von ihren Zeitgenossen, elend gelebt, elend gestorben – aber seht euch an, was sie geschaffen haben! Die Kultur der Welt! Das wollte ich euch zeigen.«

Er nahm seine Brille herab und putzte sie umständlich. »Was ist Ihr stärkster Eindruck bei diesen Bildern?« fragte er Ruth.

»Der Friede«, sagte sie sofort.

»Der Friede. Ich dachte, sie würden sagen: die Schönheit. Aber es ist wahr – Friede ist heute Schönheit. Besonders für uns. Und Ihrer, Kern?«

»Ich weiß nicht«, sagte Kern,»ich möchte eins davon haben und es verkaufen, damit wir was zu leben haben.«

»Sie sind ein Idealist«, erwiderte Marill.

Kern sah ihn mißtrauisch an. »Ich meine das ernst«, sagte Marill.

»Ich weiß, daß es dumm ist. Aber es ist Winter, und ich würde Ruth einen Mantel kaufen.«

Kern kam sich ziemlich töricht vor; aber ihm fiel wirklich nichts anderes ein, und er hatte die ganze Zeit dran gedacht. Zu seiner Überraschung fühlte er plötzlich Ruths Hand in seiner. Sie strahlte ihn an und lehnte sich fest gegen ihn.

Marill setzte seine Brille wieder auf. Dann blickte er sich um. »Der Mensch ist groß in seinen Extremen«, sagte er. »In der Kunst, in der Liebe, in der Dummheit, im Haß, im Egoismus und sogar im Opfer – aber das, was der Welt am meisten fehlt, ist eine gewisse mittlere Güte.«


KERN UND RUTH hatten ihr Abendessen beendet. Es bestand aus Kakao und Brot und war seit einer Woche ihre einzige Mahlzeit, abgesehen von der Tasse Kaffee und den zwei Brioches morgens, die Kern in den Zimmerpreis mit eingehandelt hatte. »Das Brot schmeckt heute nach Beefsteak«, sagte Kern. »Nach gutem, saftigem Beefsteak mit gebratenen Zwiebeln dran.«

»Ich fand, es schmeckte nach Huhn«, erwiderte Ruth. »Nach jungem Brathuhn mit frischem, grünem Salat dazu.«

»Möglich. Vielleicht auf deiner Seite. Gib mir eine Scheibe von da. Ich kann gut noch etwas Brathuhn vertragen.«

Ruth schnitt eine dicke Scheibe des langen französischen Weißbrots ab. »Hier«, sagte sie. »Es ist ein Schenkelstück. Oder willst du lieber Brust?«

Kern lachte. »Ruth, wenn ich dich nicht hätte, würde ich jetzt mit Gott hadern!«

»Und ich würde ohne dich im Bett liegen und heulen.«

Es klopfte. »Brose«, sagte Kern ziemlich gemütlos. »Natürlich, gerade im Moment zartester Liebesbekenntnisse!«

»Herein!« rief Ruth.

Die Tür öffnete sich. »Nein!« sagte Kern. »Das ist doch unmöglich! Ich träume!« Er stand so vorsichtig auf, als wolle er ein Phantom nicht verscheuchen. »Steiner«, stammelte er. Das Phantom grinste. »Steiner!« rief Kern. »Herr des Himmels, es ist Steiner!«

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