Er zeigte auf einen getriebenen, silbernen Obstkorb mit zwölf Silbertellern und Bestecken dazu. »Sie haben eher zu sterben, als einen Sechziger durchzulassen. Versprechen S’ mir das!«
Kern versprach es. Potzloch wischte sich den Schweiß von der Stirn und haschte nach seinem Kneifer. »Allein schon der Gedanke!« murmelte er. »Meine Frau brächte mich um! Ein Erbstück, junger Mann«, schrie er,»ein Erbstück in dieser traditionslosen Zeit! Wissen S’ was ein Erbstück ist? Lassen S’ nur, Sie wissen es nicht…«
Er sauste los. Kern sah ihm nach. »Nicht so schlimm«, sagte Steiner. »Unsere Gewehre stammen sowieso aus der Zeit der Belagerung Trojas. Und außerdem hast du Lilo zu Hilfe, wenn’s brenzlig wird.«
Sie gingen zum Panorama der Weltsensationen hinüber. Es war eine Bude, die mit bunten Plakaten bedeckt war. Sie stand auf einem dreistufigen Podest. Vorn war ein Kassenhäuschen in Form eines chinesischen Tempels aufgebaut – eine Idee Leopold Potzlochs. Steiner wies auf ein Plakat, das einen Mann vorstellte, dem Blitze aus den Augen schossen. »Alvaro, das Wunder der Telepathie – das bin ich, Baby. Und du wirst mein Assistent werden.«
SIE GINGEN IN die Bude hinein, die halbdunkel war und muffig roch. Einige Reihen leerer Stühle standen wie Gespenster unordentlich umher. Steiner stieg auf die Bühne. »Also paß auf! Irgend jemand im Zuschauerraum versteckt etwas bei einem andern; meistens sind es Zigarettenschachteln, Zündhölzer, Puderdosen oder sonderbarerweise Stecknadeln. Weiß der Himmel, wo die Leute immer die Stecknadeln herkriegen! Ich habe das zu finden. Ein interessierter Zuschauer wird heraufgebeten, ich fasse ihn bei der Hand und rase los. Entweder bist du das, dann führst du mich einfach hin, und je fester du meine Hand drückst, desto dichter bin ich bei dem versteckten Gegenstand. Leichtes Klopfen mit dem Mittelfinger bedeutet, daß es der richtige ist. Das ist einfach. Ich suche so lange, bis du klopfst. Höher oder tiefer zeigst du mir durch Auf- und Abbewegen der Hand.«
Direktor Potzloch erschien mit Getöse im Eingang. »Lernt er’s?«
»Wir wollen gerade probieren«, erwiderte Steiner. »Setzen Sie sich mal hin, Direktor, und verstecken Sie was an sich. Haben Sie eine Stecknadel bei sich?«
»Natürlich!« Potzloch griff nach seinem Rockaufschlag.
»Natürlich hat er eine Stecknadel!« Steiner drehte sich um. »Verstecken Sie sie. Und dann komm, Kern, und führe mich.«
Leopold Potzloch nahm die Nadel mit einem listigen Blick und klemmte sie zwischen seine Schuhsohle. »Los, Kern!« sagte er dann.
Kern ging zur Bühne und nahm Steiners Hand. Er führte ihn zu Potzloch, und Steiner begann zu suchen.
»Ich bin kitzlig, Steiner«, prustete Potzloch und kreischte auf.
Nach einigen Minuten fand Steiner die Nadel. Sie wiederholten das Experiment noch ein paarmal. Kern lernte die Zeichen, und die Zeit, bis Steiner Potzlochs Zündholzschachtel fand, wurde immer kürzer.
»Ganz gut«, sagte Potzloch. »Übt das heute nachmittag weiter. Aber nun die Hauptsache: wenn S’ als Zuschauer auftreten, müssen S’ zögern, verstehen S’? Das Publikum darf keine Lunte riechen. Deshalb müssen S’ zögern! Machen Sie’s einmal, Steiner, ich werd’s ihm zeigen!«
Er setzte sich auf einen Stuhl neben Kern.
Steiner ging zum Podium. »Und nun bitte ich«, donnerte er mit Ausruferstimme in die leere Bude,»einen der geehrten Herrschaften, sich hierher auf die Bühne zu begeben! Nur durch einen Griff an die Hand, ohne ein Wort, wird die Gedankenübertragung erfolgen und der versteckte Gegenstand gefunden werden!«
Direktor Potzloch beugte sich vor, als wollte er aufstehen und etwas sagen. Dann begann er zu zögern. Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her, rückte an seinem Kneifer und blickte sich verschämt um. Dann lächelte er entschuldigend, erhob sich halb, kicherte, setzte sich schnell wieder zurück, gab sich schließlich einen Ruck und schritt ernst, verlegen, neugierig und zaudernd zugleich auf den vor Lachen tobenden Steiner zu.
Vor dem Podium drehte er sich um. »Nun kopieren Sie das, junger Mann!« ermunterte er Kern selbstgefällig.
»Das ist nicht zu kopieren!« rief Steiner.
Potzloch grinste geschmeichelt. »Verlegenheit ist schwer darzustellen, das weiß ich als alter Bühnenhase. Echte Verlegenheit, mein’ ich.«
»Er ist von Natur verlegen«, erklärte Steiner. »Er wird es schon schaffen.«
»Na schön! Ich muß jetzt zum Ringelspiel.«
Potzloch schoß davon.
»Ein vulkanisches Temperament!« äußerte Steiner anerkennend. »Über sechzig Jahre alt! Jetzt zeige ich dir, was du zu tun hast, wenn du nicht zögern kannst. Wenn ein anderer zögert. Wir haben zehn Reihen Stühle hier. Das erstemal, wenn du dir übers Haar streichst, zeigst du die Zahl der Reihe, wo das Versteckte ist. Einfach soviel Finger, Das zweitemal der wievielte Stuhl von links es ist. Dann faßt du bei dir unauffällig an die Stelle, wo es ungefähr versteckt ist. Ich finde es dann schon…«
»Genügt denn das?«
»Es genügt. Der Mensch ist enorm phantasielos in solchen Sachen.«
»Mir sieht es zu einfach aus.«