Читаем Liebe Deinen Nächsten полностью

»Ein bißchen Vergessen ist manchmal notwendiger als ein Abendessen, Herr Kommerzienrat«, erwiderte Binder ruhig.

»Redensarten! So junge Leute haben in Bars nichts zu suchen.«

»Auf der Landstraße auch nicht«, antwortete Binder.

»Darf ich bekannt machen?« sagte Kern. Er wandte sich an Ruth. »Der Herr, der sich hier über uns aufregt, ist der Kommerzienrat Oppenheim. Er hat mir ein Stück Seife abgekauft. Ich habe daran vierzig Centimes verdient.«

Oppenheim sah ihn verdutzt an. Dann schnaufte er etwas, das wie »Frechheit« klang, und stapfte davon.

»Was war denn das?« fragte Ruth.

»Das Alltäglichste von der Welt«, erwiderte Binder mit einer Stimme voll Hohn. »Bewußte Wohltätigkeit. Härter als Stahl.«

Ruth stand auf. »Er wird doch sicher die Polizei holen! Wir müssen fort.«

»Dazu ist er viel zu feige. Es würde ihm Unbequemlichkeiten machen.«

»Wir wollen doch lieber gehen!«-»Gut.«

Binder bezahlte, und sie brachen auf und gingen zu ihrer Pension. In der Nähe des Bahnhofs kamen ihnen zwei Männer entgegen. »Achtung!« flüsterte Binder. »Ein Detektiv! Unbefangen bleiben.«

Kern fing leise an zu pfeifen, nahm Ruths Arm und ging langsamer. Er spürte, daß Ruth schneller gehen wollte. Er drückte ihren Arm, lachte und schlenderte langsam weiter.

Die beiden Männer gingen vorüber. Einer von ihnen trug einen steifen Hut und rauchte gleichmütig eine Zigarre. Der andere war Vogt. Er erkannte sie und machte ein fast unmerkliches bedauerndes Zeichen mit den Augen.

Kern sah sich nach einer Weile um. Die beiden Männer waren verschwunden. »Richtung Basel, Zug zwölf Uhr fünfzehn zur Grenze«, erklärte Binder fachmännisch.

Kern nickte. »Hat einen zu menschlichen Richter gehabt.«

Sie gingen weiter. Ruth fröstelte. »Es ist auf einmal etwas unheimlich hier«, sagte sie.

»Frankreich«, erwiderte Binder. »Paris. Eine große Stadt ist das beste.«

»Warum gehen Sie nicht auch hin?«

»Ich kann kein Wort Französisch. Und dann bin ich Spezialist für die Schweiz. Außerdem…« Er brach ab.

Sie gingen schweigend weiter. Ein kühler Wind kam vom See. Der Himmel stand groß und eisengrau und fremd über ihnen.


VOR STEINER SASS der ehemalige Rechtsanwalt Dr. Goldbach II vom Kammergericht Berlin. Er war das neue telepathische Medium. Steiner hatte ihn im Café Sperler gefunden.

Goldbach war etwa fünfzig Jahre alt und als Jude aus Deutschland ausgewiesen worden. Er handelte mit Krawatten und schwarzen juristischen Ratschlägen. Damit verdiente er aber nur gerade so viel, um nicht zu verhungern. Er hatte eine sehr schöne Frau von dreißig Jahren, die er liebte. Sie lebte vorläufig vom Verkauf ihres Schmuckes; aber er wußte, daß er sie wahrscheinlich nicht behalten würde. Steiner hatte seine Geschichte angehört und ihm die Stelle für die Abendvorstellungen verschafft. Tagsüber konnte er dann seinen übrigen Berufen nachgehen.

Nach kurzer Zeit zeigte es sich, daß Goldbach als Medium ungeeignet war. Er verwechselte alles und schmiß die Vorstellungen. Nachts saß er dann verzweifelt vor Steiner und flehte ihn an, ihn nicht hinauszuwerfen.

»Goldbach«, sagte Steiner,»heute war es besonders schlimm! So geht es wirklich nicht weiter! Sie zwingen mich ja, tatsächlich hellzusehen!«

Goldbach blickte ihn an wie ein sterbender Schäferhund.

»Es ist doch so einfach«, fuhr Steiner fort. »Die Anzahl Ihrer Schritte bis zur ersten Zeltstange bedeutet, die wievielte Stuhlreihe es ist. Rechtes Auge geschlossen bedeutet Dame – linkes Herr. Anzahl der Finger, unauffällig gezeigt, der wievielte von links. Vorgesetzter rechter Fuß: am Oberkörper versteckt – linker: Unterkörper. Je weiter vorgesetzt, desto höher oder tiefer. – Wir haben das System schon Ihretwegen geändert, weil Sie so zappelig sind.«

Der Anwalt fingerte nervös an seinem Kragen herum. »Herr Stemer«, sagte er dann schuldbewußt,»ich habe es auswendig gelernt, probe es jeden Tag… weiß der Himmel, es ist wie verhext…«

»Aber Goldbach!« sagte Steiner geduldig. »In Ihrer Praxis mußten Sie doch viel mehr im Kopf behalten.«

Goldbach rang die Hände. »Ich kann das Bürgerliche Gesetzbuch auswendig, ich kenne Hunderte von Zusätzen, Entscheidungen, glauben Sie mir, Herr Steiner, ich war mit meinem Gedächtnis der Schrecken der Richter… aber dieses hier ist wie verhext…«

Steiner schüttelte den Kopf. »Ein Kind kann das doch behalten. Acht verschiedene Zeichen, nicht mehr! Und dann noch vier für seltene Fälle.«

»Ich kenne sie ja! Mein Gott, ich übe sie ja täglich. Es ist nur die Aufregung…«

Goldbach saß klein und geduckt auf seiner Kiste und sah ratlos vor sich hin.

Steiner lachte.

»Aber Sie waren doch im Gerichtssaal nie aufgeregt! Sie haben doch große Prozesse durchgeführt, bei denen Sie eine schwierige Materie vollkommen und kaltblütig beherrschen mußten!«

»Jaja, das war leicht. Aber hier! Bevor es anfängt, weiß ich jede Einzelheit genau – doch sowie ich in die Bude trete, verwechsle ich alles in meiner Aufregung…«

»Weshalb, um Himmels willen, sind Sie denn so aufgeregt?«

Goldbach schwieg eine Weile. »Ich weiß es nicht«, sagte er dann leise. »Da kommt wohl vieles zusammen.«

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