Steel schüttelte den Kopf. Ich konnte sein Lächeln beinahe hören. »Sie enttäuschen mich, Jack«, sagte er. »Wir alle haben von Zeit zu Zeit schlimme Gedanken. Schlechte Träume. Das ist etwas, was wir von diesen...
»Das ist es nicht«, antwortete Ruby. Selbst seine Stimme zitterte jetzt.
Steel hörte endlich auf, sich mit dem Radio zu beschäftigen, und drehte sich halb zu Ruby um. Er hatte seine Sonnenbrille abgenommen, sodass ich das erloschene Auge sehen konnte. Es war ein unheimlicher, fast Furcht erregender Anblick. »Was genau denken Sie, Jack?«, wollte er wissen.
Ruby fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen, setzte das Glas an und stellte erst dann fest, dass nichts mehr darin war. »Ich sehe... Oswald«, sagte er schließlich. Er schien Mühe zu haben, den Namen überhaupt auszusprechen.
Steel nickte. »Das haben Sie mir bereits gesagt.«
»Ja«, antwortete Ruby fahrig. »Aber es ist... noch mehr. Ich sehe auch... Sie, Jim. Sie sehen so... anders aus. Sie sprechen zu mir... Jimmy.«
»Natürlich spreche ich mit Ihnen, Sie Dummkopf«, antwortete Steel. »Aber statt Ihren Träumen nachzuhängen, sollten Sie sich lieber darauf konzentrieren, was ich Ihnen jetzt sage. Ich...« Steel stockte. Obwohl ich nur sein totes Auge sehen konnte, war doch deutlich zu erkennen, wie sein Blick einen Punkt irgendwo hinter Ruby fixierte. Rubys Blick folgte dem Steels und der Barbesitzer fuhr so heftig zusammen, dass er um ein Haar sein Glas fallen gelassen hätte.
Ohne ein weiteres Wort ging Steel an ihm vorbei, bückte sich einen Moment aus meinem Sichtfeld heraus und richtete sich dann mit einem Ruck wieder auf. In seiner rechten Hand befand sich jetzt ein großer, offensichtlich zum Bersten gefüllter Koffer. Ich schätzte, dass er mehr als einen Zentner wiegen musste, aber Steel schwenkte ihn ungefähr so mühelos wie eine Postkarte.
»Wollten Sie verreisen, Jack?«, fragte er.
Ruby schluckte ein paarmal. Er sagte nichts. Steel starrte ihn ein, zwei Sekunden lang wortlos an, dann schüttelte er den Kopf, setzte den Koffer fast behutsam wieder zu Boden und seufzte: »Jack, Jack. Was soll ich nur mit Ihnen tun? Ist das Ihre Art, Ihren Auftrag zu erfüllen?«
Ruby schwieg noch immer.
»Es ist Jack Ruby, nicht?«, fragte Steel kopfschüttelnd. »Der...
»Ihr wollt, dass ich ihn töte«, murmelte Ruby. »Oswald.«
»Nicht du«, erwiderte Steel fast sanft. »Jack Ruby. Morgen Vormittag wird Oswald verlegt. Eine bessere Gelegenheit wird sich nicht bieten. Vielleicht gar keine mehr.«
Ruby schüttelte den Kopf. Die Bewegung wirkte trotzig, aber ohne jede Spur von Kraft. »Warum ich?«
»Weil es so geplant ist«, antwortete Steel. »Und weil ich nicht hier bin, um zu diskutieren.«
Seine Bewegung war so schnell, dass Ruby keine Chance hatte. Steels Hand schoss vor, packte Rubys Arm und wirbelte ihn herum. Der Barbesitzer war zwar ein gutes Stück kleiner als Steel, wog aber mindestens dreißig Pfund mehr, und ich hatte nicht den Eindruck, dass daran übermäßig viel Fett wäre. Trotzdem bereitete es Steel keinerlei Mühe, Ruby einfach an sich heranzuzerren und seinen beginnenden Widerstand im Keim zu ersticken. »Jim Steels Position bei Majestic darf nicht gefährdet werden, Jack.«
»Warum bezahlen Sie nicht einfach jemanden dafür?«, flehte Ruby. »Bitte, Jim. Ich kann Ihnen hier nützlicher sein. Ich habe viele einflussreiche Freunde. In meiner Bar gehen prominente Gäste ein und aus. Ich kann Ihnen Informationen liefern, die Sie...«
»Jack Ruby ist ein Freund der Polizei von Dallas«, unterbrach ihn Steel. »Deshalb wurde er ausgewählt. Die Polizei von Dallas macht Geschäfte mit Freunden. Darum wurde Dallas ausgewählt. Alles greift ineinander, Jack, ganz so wie die Zähne eines großen Rades. Jack Ruby wird der Polizei helfen. Das ist seine wahre Bestimmung.«
Ruby gab seinen ohnehin sinnlosen Widerstand auf und verlegte sich vollends aufs Flehen. »Bitte, Jim!«, keuchte er. »Wenn ich ihn umbringe, dann werden sie mich für den Rest meines Lebens einsperren! Haben Sie Erbarmen. Ich liebe mein Leben. Ich liebe meinen Club, ich mag die Mädchen.«
»Vielleicht«, wisperte Steel, »wird es die Stimmen zum Schweigen bringen, Jack.«
»Nein!«, keuchte der Barbesitzer. »Bitte nicht! Ich bin nicht bereit, all das für euch aufzugeben! Dieses Leben ist gar nicht so schlecht. Die Menschen sind...«