»Wie ich Prioritäten setze, sollten Sie mir schon lieber selber überlassen«, sagte Bach ohne jeden Ärger in der Stimme.
»Ach ja?«, versetzte ich und beugte mich ein Stück vor. »Und was war mit Kennedys Ermordung? War er nur eine unwichtige Randerscheinung, genauso wie Steels Verwicklung in Oswalds Hinrichtung?«
Bach runzelte die Stirn. »Hat Oswald für Sie eine höhere Priorität als Ihre Freundin?«, fragte er scharf. »Stand Ihnen John F. Kennedy näher als Kimberley Sayers? Halten Sie Ihre eigene persönliche Episode für den Nabel der Welt, der sich notfalls auch Majestic und der Rest der Welt unterzuordnen hat?«
Das war wieder einer der typischen Bachschen Volltreffer. Denn streng genommen hatte er vollständig Recht; streng genommen erwartete ich, dass Kim eine Sonderbehandlung zukam, nur weil es Kim war. In gewisser Weise hatte ich genau denselben Fehler gemacht, den ich ihm vorwarf – ich hatte meine eigene Bedeutung überschätzt.
»Was soll ich Ihrer Meinung nach tun, John?«, erkundigte sich Bach. Seine zusammengekniffenen Augen musterten mich mit einer Kälte, die mich schaudern ließ – wie die einer Schlange, kurz bevor sie zustößt. »Bezüglich ihres Bruders, der so plötzlich in die Geschichte hineingeschneit kommt, dass es fast schon peinlich ist. Was mache ich mit ihm?«
»Mit ihm machen?« Ich wusste, dass er mich in der Falle hatte, und er wusste, dass ich es wusste. Er hatte mich ein weiteres Mal ausmanövriert, Drohung gegen die Dame, Schach und matt. Er würde mich für jede meiner scharfen Anklagen zahlen lassen, Silbe für Silbe. Ich sah es ganz deutlich vor mir. Er würde mir jedes einzelne Wort die Kehle wieder hinunterwürgen. Nein, schlimmer noch, er würde Ray und Kim dafür zahlen lassen, dass ich an seiner Maske herumgezerrt hatte. Ich hatte an seiner Kontrolle gerüttelt, seinen Nimbus beschädigt. Bach hatte einen Fehler gemacht, als er mich in den inneren Kreis geholt hatte, vermutlich gegen den ausdrücklichen Rat von Albano und seinen anderen Vertrauten. Jetzt wollte er seinen Fehler um jeden Preis wieder ausbügeln und wenn er mich dabei zu Staub zerdrücken musste, dann würde er keine Sekunde zögern.
Bach ließ sich Zeit. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, stieß eine Rauchwolke durch die Nase aus und sah mich durch den grauen, allmählich auseinander treibenden Schleier hindurch an. Er betrachtete mich ohne Freundlichkeit. Es dauerte lange, bis er den Faden wieder aufnahm, aber als er es tat, klang seine Stimme um keinen Deut weniger leutselig als zuvor.
»Wir können ihn schlecht einfach wieder zurück schicken«, sagte er. »Dazu ist er bereits zu tief in die Sache verstrickt.«
»Wie sind Sie überhaupt auf ihn gekommen?«, fragte ich.
Bach leistete sich den Luxus eines leichten Lächelns. »Reine Routine. Wir hatten uns schon längst an seine Fersen geheftet, als er selbst noch gar nicht auf die Idee gekommen war, nach Washington zu fahren. Er war eine Schwachstelle, durch die wir früher oder später an Sie und Ihre Freundin kommen mussten.« Er beugte sich ein Stück vor und blies einen Rauchschwaden direkt in meine Richtung. »Glauben Sie, dass Ihre Freundin, sagen wir, geheilt ist?«, erkundigte er sich, abrupt das Thema wechselnd.
»Die ART war erfolgreich«, erinnerte ich ihn ohne Hoffnung. »Ihre Leute haben die Reste des Ganglions vom Boden gekratzt.«
»Natürlich«, sagte er. »Wissen Sie, Loengard, ich verstehe nicht alles, was Hertzog oder auch Halligen in ihre Berichte schreiben, und beide wissen im Grunde auch nicht mehr als irgendjemand sonst.« Er zündete sich umständlich die nächste Zigarette an, die er nun schon seit einigen Minuten zwischen den Fingern gedreht hatte. »Nehmen Sie zum Beispiel sich selbst«, sagte er in einem neuerlichen Schwall von Tabaksqualm. Die Wellen und Luftwirbel, die seine Worte im Rauchschleier hervorriefen, erinnerten mich an die schimmernden Reflexe auf der Folie. Ich hatte das Artefakt fast vergessen, das Bach nun wieder an sich genommen hatte, diesen einzigen Beweis der Existenz einer überlegenen Technologie, den ich unbedingt zu Robert Kennedy hatte bringen wollen. Wie unwichtig das plötzlich alles war.
»Was ist mit mir?«, fragte ich.
»Sie haben Brandon gesehen«, sagte Bach, »und Steel. Und Ruby, wie ich höre. Sie haben womöglich mehr Kenntnisse aus erster Hand als die meisten hier und sicherlich mehr als Halligen. Sie haben miterlebt, was ein einzelnes Ganglion anrichten kann und was aus den Infizierten wird.« Sein Blick war so stetig wie erbarmungslos. »Nun sagen Sie mir, wie sie die Chancen einschätzen, dass ein Mensch davon geheilt werden kann.«
»Kimberley ist geheilt«, beharrte ich.
»Da spricht Ihr Herz, John«, stellte er fest. »Lassen Sie Ihren Verstand sprechen. Kann ein Mensch wirklich geheilt werden, wenn er einmal infiziert wurde?«
»Beweisen Sie mir das Gegenteil«, forderte ich.