»Mit was?«, fragte ich irritiert. Das ganze Gespräch begann eine Richtung zu nehmen, die mir ganz und gar nicht gefiel. Meine Vermutung, dass es ihm nur darum ging herauszubekommen, wie viel wir wussten und wie viel wir ausgequatscht hatten, löste sich langsam in Luft auf. Was wollte er wirklich von mir? Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich vermutet, dass er Zeit gewinnen wollte. Doch wozu? Um Kimberley erneut einer ART zu unterziehen oder sie sonst wie zu drangsalieren?
»Dictyostelium ist ein Schleimpilz.« Bach spitzte die Lippen. »Acrasiomycota«, sagte er betont. »Ich habe dreimal nachfragen müssen. Etwas ganz Besonderes, nicht Vielzeller, nicht Einzeller, sondern beides. Kann sich aus einzelnen Zellen zusammenfügen und eine Art Organismus bilden und dann einfach wieder zerfallen. Jede Zelle trägt das vollständige Programm, wie eine Samenzelle. Hertzog sagt, ein Ganglion ist auch so etwas... ein Aggregationsplasmodium. Ganglien können sich auflösen, sich vollständig im Körper verbergen und dann wieder zusammenkommen. Sie nisten nicht nur in der Kehle oder im Hirnstamm, sie durchsetzen den gesamten Körper wie ein Pilz, mit feinen Myzelien bis in die Zehen und Fingerspitzen. Sie wuchern an der Amygdala und durchdringen das gesamte Stammhirn. Das ist so, als wenn man ein zweites Nervensystem hätte. Hertzog glaubt, wenn wir den pH-Wert des Blutes verändern und diesen ganzen Voodoo-Zauber vollziehen, den wir so hochtrabend ART nennen, dann lösen wir nur eine automatische Reaktion der einzelnen Zellen aus und das Ganglion fügt sich zusammen.«
»Eine automatische Reaktion?«, wiederholte ich verständnislos. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Was hatten Schleimpilze mit Kim zu tun? Das Ganglion, das Kimberley befallen hatte, hatte Hertzog zwar mit seiner ART aus ihr herausgewürgt. Aber es steckte noch irgendetwas in ihr, und wenn Bach mit seinen Andeutungen Recht hatte, konnte es auch gar nicht anders sein, als dass es sich weiterentwickelte, eben genau wie ein Pilz, der sich verästelnd ins Erdreich ausdehnt oder in einem befallenen Wirt.
»Flucht, Fortpflanzung, wir wissen es nicht. Wir verändern die Körperchemie, dem Fremdgewebe wird es ungemütlich und es fängt an, sich im Kehlraum zu einem differenzierten Vielzeller zusammenzuziehen.« Bach drückte die Zigarette aus, obwohl sie noch nicht einmal halb zu Ende geraucht war. Anscheinend ließ dieses Bild selbst ihn nicht völlig unbeeindruckt. »Sagt Hertzog. Er hat eines der abgetrennten Pseudopodien in eine Schale gelegt. Nach zwei Tagen ist es zu einer Art durchsichtigem Wackelpudding zerfallen. Er sagt, es sei immer noch lebendig. In der richtigen Umgebung würde es wachsen und sich notfalls wieder zu einem Ganglion zusammensetzen können.«
»Ich verstehe«, sagte ich langsam. Nur mit Mühe unterdrückte ich die aufkommende Panik und nur ein Gedanke beherrschte mich: Nichts anmerken lassen, nicht Bach zeigen, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte als an Kim und das, was da in ihrem Inneren vorging, unbemerkt oder zumindest doch nicht offensichtlich, es sei denn, man war ihr so nah, wie ich es war. »Steel ist durchsetzt damit.«
»Jedes verdammte Stück Gewebe. Er schwimmt darin, weit mehr noch als Brandon. Er ist entweder schon lange infiziert gewesen oder es ist bei ihm besonders schnell gegangen.« Bach hielt eine neue Zigarette in der Hand, drehte sie zwischen den Fingern und schüttelte den Kopf, wie um sich über seine eigene Nervosität zu wundern. Er zündete sie nicht an. »Hertzog hat nach Brandon ein Dutzend Berichte produziert und jeder liest sich wie das Drehbuch zu einem verdammten Horrorfilm. Manchmal denke ich, wir sind alle reif für ein Irrenhaus.«
Ich lachte und war selbst davon überrascht.
»Was ist so komisch?«, erkundigte sich Bach ruhig.
»Nichts«, sagte ich, erschrocken über meine eigene Reaktion. Kim. Wo war sie? Was stellten sie mit ihr an? In meiner Phantasie überschlugen sich die Bilder, vermischte sich die Erinnerung an Brandons Obduktion mit der dieser fürchterlichen Prozedur, mit der Dr. Carl Hertzog zum erstenmal an einem lebenden Menschen versucht hatte, ein Ganglion auszutreiben, und das ausgerechnet bei Kim.
»Was werden Sie mit Steel machen?«, fragte ich Bach so schroff wie möglich, um nicht zu offenbaren, dass ich mit der Frage eigentlich Kimberley meinte.
»Das ist Halligens Sache«, teilte er mit verschlossenem Gesicht mit. Er musterte mich grimmig. »Ich habe mir eben die Röntgenaufnahmen angesehen. Ich hatte Ihnen nicht geglaubt, was den Unfall anging. Ich habe mich geirrt. Der Schläfenknochen war eingedrückt.«
»Ich frage mich, wie er das überlebt hat«, sagte ich.