Читаем Narziss und Goldmund / Нарцисс и Гольдмунд. Книга для чтения на немецком языке полностью

Leicht hatte er es gehabt, in ihren Gesprächen dem Freund überlegen zu scheinen, dessen Leidenschaft seine Zucht und Gedankenordnung entgegenzusetzen. Aber war nicht jede kleine Gebärde einer Goldmundfigur, jedes Auge, jeder Mund, jede Ranke und Kleidfalte mehr, war wirklicher, lebendiger und unersetzlicher als alles, was ein Denker leisten konnte? Hatte dieser Künstler, dessen Herz so voll Widerstreit und Not war, nicht für unzählige Menschen, heutige und kommende, Sinnbilder ihrer Not und ihres Strebens aufgestellt, Gestalten, zu welchen Andacht und Ehrfurcht, Herzensangst und Sehnsucht Unzähliger sich wenden konnte, um in ihnen Trost, Bestätigung und Stärkung zu finden?

Lächelnd und traurig erinnerte Narziss sich all der Szenen seit früher Jugend, in denen er seinen Freund geführt und belehrt hatte. Dankbar hatte der Freund es angenommen, hatte immer wieder seine Überlegenheit und Führerschaft gelten lassen. Und dann hatte er in aller Stille die aus dem Sturm und Leid seines gepeitschten Lebens geborenen Werke hingestellt: keine Worte, keine Lehren, keine Aufklärungen, keine Ermahnungen, sondern echtes, erhöhtes Leben. Wie arm war er selbst dagegen mit seinem Wissen, seiner Klosterzucht, seiner Dialektik?

Dies waren die Fragen, um welche seine Gedanken kreisten. So wie er vor vielen Jahren einst erschütternd und mahnend in Goldmunds Jugend eingegriffen und sein Leben in einen neuen Raum gestellt hatte, so hatte seit seiner Rückkehr der Freund ihm zu schaffen gemacht, ihn erschüttert, ihn zu Zweifel und Selbstprüfung gezwungen. Er war ihm ebenbürtig, nichts hatte Narziss ihm gegeben, das er nicht vielfach wiederbekommen hatte.

Der davongerittene Freund ließ ihm Zeit zu seinen Gedanken. Die Wochen vergingen, längst hatte der Kastanienbaum geblüht, längst war das milchig hellgrüne Buchenlaub dunkel, fest und hart geworden, längst hatten die Storche auf dem Torturm gebrütet, hatten Junge und hatten sie fliegen gelehrt. Je länger Goldmund ausblieb, desto mehr sah Narziss, was er an ihm gehabt hatte. Er hatte einige gelehrte Patres im Hause, einen Kenner des Plato[122], einen vorzüglichen Grammatiker, einen oder zwei subtile Theologen. Er hatte unter den Mönchen einige treue, redliche Seelen, denen es Ernst war. Aber er hatte keinen seinesgleichen, keinen, an dem er sich ernstlich messen konnte. Dies Unersetzliche hatte nur Goldmund ihm gegeben. Es nun wieder entbehren zu müssen, fiel ihm schwer. Mit Sehnsucht dachte er an den Entfernten.

Oft ging er in die Werkstatt hinüber, ermunterte den Gehilfen Erich, der am Altar weiterarbeitete und sehr nach der Rückkehr seines Meisters bangte. Manchmal schloss der Abt Goldmunds Kammer auf, wo die Maria stand, hob vorsichtig das Tuch von der Figur und verweilte bei ihr. Er wusste nichts von ihrer Herkunft, Goldmund hatte ihm die Geschichte Lydias nie erzählt. Aber er fühlte alles, er sah, dass diese Mädchengestalt lange in seines Freundes Herzen gelebt habe. Vielleicht hatte er sie verführt, vielleicht sie betrogen und verlassen. In seiner Seele aber hatte er sie mitgenommen und bewahrt, treuer als der beste Gatte, und schließlich hatte er, vielleicht nach vielen Jahren, in denen er sie nie mehr gesehen, diese schöne rührende Mädchenfigur gemacht und in ihr Gesicht, ihre Haltung, ihre Hände alle Zärtlichkeit, Bewunderung und Sehnsucht eines Liebenden beschlossen. Auch in den Figuren der Lesekanzel im Refektorium las er dies und jenes von der Geschichte seines Freundes. Es war die Geschichte eines Landfahrers und Triebmenschen, eines Heimatlosen und Treulosen, aber was hier davon übriggeblieben, war alles gut und treu, war voll lebendiger Liebe. Wie geheimnisvoll war dieses Leben, wie trüb und reißend flossen seine Ströme, und wie edel und klar standen die Ergebnisse da!

Narziss kämpfte. Er wurde Herr darüber, er wurde seiner Bahn nicht untreu, er versäumte nichts an seinem strengen Dienst. Aber er litt unter dem Verlust und litt unter der Erkenntnis, wie sehr sein Herz, das doch nur Gott und seinem Amt gehören sollte, an diesem Freunde hing.

Zwanzigstes Kapitel

Der Sommer ging dahim, Mohn und Kornblume, Rade und Sternblume welkte und schwand, still wurden die Frosche im Weiher, und die Storche flogen hoch und bereiteten sich zum Abschied. Da kam Goldmund wieder!

Er kam an einem Nachmittag, bei leisem Regen, und trat nicht ins Kloster, er ging vom Tore sofort nach seiner Werkstatt. Er war zu Fuß angekommen, ohne Pferd.

Erich erschrak, als er ihn eintreten sah. Zwar erkannte er ihn auf den ersten Blick, und sein Herz schlug ihm entgegen, und doch schien es ein ganz anderer Mensch zu sein, der da zurückgekommen war: ein falscher Goldmund, um viele Jahre älter, mit einem halb erloschenen, staubigen, grauen Gesicht, mit eingefallenen Zügen, kranken, leidenden Zügen, in denen aber doch kein Schmerz geschrieben stand, sondern eher ein Lächeln, ein gutmütiges, altes, geduldiges Lächeln. Er ging mühsam, er schleppte sich, und er schien krank und sehr müde zu sein.

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