5 „Ich sah nach blonden Mädchen aus heute morgen", sagte ich, „aber Sie haben die ganze Zeit hinter mir auf dem Koffer gesessen."
6 „Nicht lange", sagte sie, „ich hatte mich gerade hingesetzt, als Sie kamen. Ich habe Sie gleich erkannt, aber ich wollte Sie nicht ansprechen." Sie lächelte wieder.
7 „Warum?" sagte ich.
8 „Weil Sie so ein böses Gesicht hatten, und weil Sie so erwachsen und so wichtig aussahen, und ich habe Angst vor wichtigen Leuten."
9 „Was dachten Sie?" fragte ich.
10 „Oh, nichts", sagte sie. „Ich dachte: das ist also der junge Fendrich; auf dem Bild, das Ihr Vater hat, sehen Sie viel jünger aus. Man spricht nicht gut von Ihnen. Jemand hat mir erzählt, dass Sie gestohlen haben." Sie wurde rot, und ich konnte deutlich sehen, dass sie nicht mehr blutarm war: sie wurde so glühend rot, dass es mir unerträglich war, es zu sehen.
11 „Nicht", sagte ich leise, „werden Sie nicht rot. Ich habe wirklich gestohlen, aber es ist sechs Jahre her, und es war — ich würde es wieder tun. Wer hat es Ihnen erzählt?"
12 „Mein Bruder", sagte sie, „und er ist gar kein übler Kerl."
13 „Nein", sagte ich, „er ist gar kein übler Kerl. Und Sie haben daran gedacht, dass ich gestohlen habe, eben als ich weggegangen war."
14 „Ja", sagte sie, „ich habe daran gedacht, aber nicht lange."
15 „Wie lange denn?" fragte ich.
16 „Ich weiß nicht", sagte sie lächelnd, „ich habe auch an andere Dinge gedacht. Ich hatte Hunger", sagte sie, „aber ich hatte Angst hinunterzugehen, weil ich wusste, dass Sie hier standen."
17 Ich zog das Brötchen aus der Rocktasche, sie nahm es lächelnd, brach es schnell auf, und ich sah ihren weißen kräftigen Daumen tief in den weichen Teig hineinsinken, wie in ein Kissen hinein. Sie aß einen Bissen,und bevor sie den zweiten nahm, sagte ich: „Sie wissen nicht, wer Ihrem Bruder von meinem Diebstahl erzählt hat?"
18 „Liegt Ihnen viel daran, es zu wissen?"
19 „Ja", sagte ich, „sehr viel."
20 „Es müssen die Leute sein, die Sie" — sie wurde rot — „bei denen Sie es getan haben. Mein Bruder sagte: ,Ich weiß es aus erster Quelle.'" Sie nahm den zweiten Bissen, sah an mir vorbei und sagte leise: „Es tut mir Leid, dass ich Sie so weggeschickt habe, aber ich hatte Angst, und als ich es tat, dachte ich gar nicht an die Geschichte, die mein Bruder mir erzählt hatte."
Илья Михайлович Франк , Илья Франк , Фридрих Дюрренматт , Яков Александрович Унфангер , Яков Унфангер
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