»Wir müssen diesen armen Jungen zu seiner Mama bringen«, sagte sie vorwurfsvoll und unterzog die vier Männer einem funkelnden Blick, als wollte sie sie anklagen, sich gegen das Kind verschworen zu haben. »Wo ist Euer Lagerplatz, Mr. Fraser?«
»Ich bringe Euch hin, Ma’am«, sagte Duncan hastig. »Kommt mit mir.«
Roger machte Anstalten, den Bugs zu folgen, doch Jamie hielt ihn mit einer Hand auf seinem Arm zurück.
»Nein, lass Duncan das nur machen«, sagte er und tat die Bugs mit einem Kopfnicken ab. »Ich unterhalte mich später noch mit Arch. Es gibt etwas, das ich dir sagen muss,
Roger spürte, wie er sich bei dieser formellen Anrede anspannte. Kam jetzt der Augenblick, in dem Jamie ihm sagte, aufgrund welcher Mängel seines Charakters und seiner Herkunft er nicht geeignet war, die Verantwortung für den Betrieb von Fraser’s Ridge zu tragen?
Doch nein, Jamie zog ein zusammengeknäultes Stück Papier aus seinem Sporran. Er reichte es Roger mit einem Anflug einer Grimasse, als hätte ihm das Papier die Hand versengt. Roger überflog es rasch und blickte dann von der kurzen Mitteilung des Gouverneurs auf.
»Miliz? Wann denn?«
Jamie zog eine Schulter hoch.
»Das weiß niemand so genau, doch ich nehme an, eher, als uns allen lieb ist.« Er lächelte Roger schwach und unglücklich an. »Du hast doch gehört, was man sich an den Feuern erzählt?«
Roger nickte ernüchtert. Er hatte die Gespräche in den Pausen zwischen seinen Liedern gehört, am Rande der Wettkämpfe im Steinweitwurf, unter den Männern, die tags zuvor in kleinen Gruppen zusammen getrunken hatten. Bei einem der Wettkämpfe war es zu einem Handgemenge gekommen – das rasch beendet wurde, ohne dass jemand zu Schaden kam, doch über dem
Jamie rieb sich mit der Hand über sein Gesicht und durch sein Haar und zuckte seufzend mit den Achseln.
»Ein Glück, dass mir heute der alte Arch Bug und seine Frau über den Weg gelaufen sind. Wenn es zu Auseinandersetzungen kommt – und das wird es wohl, wenn nicht jetzt, dann später –, dann wird Claire mit uns reiten. Ich hätte nicht gern, dass Brianna allein zurechtkommen muss, wenn es sich verhindern lässt.«
Roger spürte, wie das kleine, nagende Bleigewicht des Zweifels von ihm abfiel, als er plötzlich begriff.
»Allein? Du meinst – du willst, dass ich auch mitkomme? Um die Männer für die Miliz zu werben?«
Jamie sah ihn erstaunt an.
»Aye, wer denn sonst?«
Er zog sich die Enden seines Plaids enger um die Schultern und zog zum Schutz vor dem zunehmenden Wind den Kopf ein. »Na, dann komm mit, Hauptmann MacKenzie«, sagte er mit einem ironischen Unterton. »Wir haben noch zu tun, bevor du heiratest.«
Kapitel 9
Der Keim der Zwietracht
Ich spähte einem von Farquard Campbells Sklaven in die Nase, in Gedanken halb bei dem Polypen, der ihm das Nasenloch verstopfte, halb bei Gouverneur Tryon. Der Polyp war mir eindeutig der Sympathischere von beiden, und selbst
Es kam mir so furchtbar ungerecht vor, dachte ich, während ich stirnrunzelnd mein Skalpell sterilisierte und das kleinste Kautereisen in ein Becken mit heißen Kohlen legte.
War das der Anfang? Oder einer der Anfänge? Es war Ende 1770; in fünf Jahren würden sich alle dreizehn Kolonien im Krieg befinden. Doch jede Kolonie würde durch einen anderen Prozess an diesen Punkt gelangen. Da ich so lange in Boston gelebt hatte, wusste ich aus Briannas Geschichtshausaufgaben, wie dieser Prozess in Massachusetts ausgesehen hatte – oder aussehen würde. Steuern, das Massaker von Boston, der Hafen, Hancock, Adams, die Tea Party, all diese Dinge. Aber North Carolina? Wie war es hier dazu gekommen – wie
Möglich, dass es schon im Gange war. Schon seit mehreren Jahren glomm die Zwietracht zwischen den Pflanzern der Ostküste und den geplagten Siedlern des Hinterlandes im Westen. Die Regulatoren rekrutierten sich größtenteils aus der letzteren Klasse; Erstere stand mit ganzem Herzen auf Tryons Seite – und damit auf Seiten der Krone.
»Geht es jetzt?« Ich hatte dem Sklaven einen kräftigen Schluck Whisky als Medizin zur Stärkung verabreicht. Ich lächelte ermutigend, und er nickte mit unsicherer, aber ergebener Miene.
Ich hatte noch nie von Regulatoren gehört, doch hier waren sie nun – und ich hatte inzwischen genug gesehen, um zu wissen, wie viel die Geschichtsbücher ausließen. Wurde die Saat der Revolution direkt vor meiner Nase ausgestreut?
Ich murmelte dem Sklaven beruhigend zu, wickelte mir eine Leinenserviette um die linke Hand, ergriff das Kinn des Sklaven fest damit, schob ihm das Skalpell in die Nase und trennte den Polypen mit einer geschickten Bewegung der Klinge ab. Natürlich blutete es heftig, und warmes Blut strömte durch das um meine Hand gewickelte Tuch, doch es war offensichtlich nicht sehr schmerzhaft. Der Sklave sah überrascht, aber nicht gequält aus.