Wir erhoben uns mit schweren Lidern, umgeben von Bergen abgelegter Kleider und muffigen Leinens, fütterten die Kinder und kleideten sie an und begaben uns dann ins Freie, um im Lauf des Tages unsere geistige Zuflucht beim Pferderennen, beim Einkaufen oder den konkurrierenden Musikabenden zu suchen, die Mrs. Crawford und Mrs. Dunning, die beiden prominentesten Gastgeberinnen in der Stadt, jeweils einmal wöchentlich – an zwei aufeinander folgenden Abenden – veranstalteten.
Mrs. Dunnings Abend hatte am Tag nach Jamies und Rogers Abreise stattgefunden. Darbietungen auf der Harfe, der Violine, dem Cembalo und der Flöte wechselten sich mit Lyrikrezitationen – zumindest wurde es als Lyrik bezeichnet – und »Gesaengen der Komick und Tragick« ab, die von Mr. Angus McCaskill vorgetragen wurden, dem allseits beliebten und umgänglichen Inhaber der größten Wirtschaft von Wilmington.
Eigentlich waren die »Gesaenge der Tragick« sehr viel lustiger als die »der Komick«, und zwar dank Mr. McCaskills Angewohnheit, während der kummervollsten Passagen die Augen so zu verdrehen, dass sie in seinem Kopf verschwanden, als stünde der Text auf der Innenseite seines Schädels. Ich setzte jedoch eine angemessen ernste Miene der Wertschätzung auf und biss mir fortwährend auf die Wange.
Brianna brauchte sich gar nicht erst zusammenzureißen. Sie saß da und betrachtete sämtliche Darbietungen mit einer Miene derart brütender Intensität, dass sie einige der Musiker aus der Fassung zu bringen schien. Diese beäugten sie nervös und verdrückten sich ans andere Ende des Zimmers, wo sie das Cembalo als Schutzwall benutzten. Ich wusste allerdings, dass Briannas Verhalten nichts mit den Darbietungen zu tun hatte, sondern vielmehr damit, dass sie im Geiste noch einmal die Streitgespräche durchlebte, die der Abreise der Männer vorausgegangen waren.
Diese waren lang und heftig gewesen und im Flüsterton geführt worden, während wir vier bei Sonnenuntergang am Kai spazieren gingen. Brianna hatte aufgewühlt, wortgewaltig und leidenschaftlich argumentiert. Jamie hatte geduldig und kühl gekontert und sich nicht umstimmen lassen. Ich hatte den Mund gehalten und war ausnahmsweise sturköpfiger gewesen als sie beide. Ich konnte nicht guten Gewissens Briannas Partei ergreifen; ich wusste, was für ein Mensch Stephen Bonnet war. Ich konnte nicht Jamies Partei ergreifen; ich wusste, was für ein Mensch Stephen Bonnet war.
Ich wusste auch, was für ein Mensch Jamie war, und bei dem Gedanken, dass er sich mit Stephen Bonnet anlegte, bekam ich zwar das Gefühl, als hinge ich an einem zerschlissenen Seil über einem bodenlosen Abgrund, doch ich wusste auch, dass es kaum einen Menschen gab, der für ein solches Vorhaben besser geeignet war. Denn über die Tod bringenden Fähigkeiten hinaus, welche er ohne Zweifel besaß, brachte Jamie auch ein Gewissen mit.
Jamie war Highlander. Nun mochte der Herrgott ja darauf bestehen, dass die Rache sein sei, doch ich kannte keinen männlichen Highlander, der es für rechtens hielt, den Herrgott derartige Dinge ohne Hilfe erledigen zu lassen. Gott hatte den Menschen mit gutem Grund geschaffen, und auf der Liste seiner Gründe nahmen der Schutz der Familie und die Verteidigung ihrer Ehre eine Spitzenposition ein – und zwar um jeden Preis.
Was Bonnet Brianna angetan hatte, war ein Verbrechen, das Jamie ihm niemals verzeihen würde, geschweige denn, es zu vergessen. Und über die schlichte Rachsucht und die Tatsache hinaus, dass Bonnet möglicherweise für Brianna und Jemmy eine fortwährende Bedrohung darstellen würde, fühlte sich Jamie zumindest teilweise für den Schaden verantwortlich, den Bonnet in der Welt anrichtete. Er hatte Bonnet einmal geholfen, dem Galgen zu entkommen; er würde keinen Frieden finden, bevor er diesen Fehler nicht wiedergutgemacht hatte – und das sagte er auch.
»Schön!«, hatte Brianna ihn angezischt und die Hände an ihren Seiten zu Fäusten geballt. »Damit du deinen Frieden hast! Wirklich wunderbar! Und was meinst du, wie friedvoll Mama und ich uns fühlen werden, wenn ihr tot seid, du oder Roger?«
»Dann wäre es dir also lieber, wenn ich ein Feigling bin? Oder dein Mann?«
»Ja!«
»Nein, das wäre es nicht«, sagte er überzeugt. »Das glaubst du jetzt nur, weil du Angst hast.«
»Natürlich habe ich Angst! Mama auch, nur, dass sie es nicht sagt, weil sie denkt, dass ihr sowieso geht!«
»Wenn sie das denkt, hat sie Recht«, sagte Jamie und warf mir einen Seitenblick und den Hauch eines Lächelns zu. »Sie kennt mich schließlich schon sehr lange, aye?«
Ich sah ihn an, schüttelte aber den Kopf und wandte mich ab. Meine Lippen waren versiegelt, und ich starrte auf die Masten der im Hafen vor Anker liegenden Schiffe hinaus, während der Streit weitertobte.
Roger hatte ihm schließlich ein Ende gesetzt.