»Er lief ein ganzes Stück, und die Kate hinter ihm verschwand. Als er sich umsah, konnte er das Licht im Fenster nicht mehr sehen, und um ihn war nichts als das Heulen des Windes. Es war kalt, aber er ging weiter, stapfte durch Heide und Morast, und unter seinen Stiefeln hörte er Eis brechen.
Er sah einen kleinen Hain im Nebel, und weil er dachte, die Kuh hätte vielleicht unter den Bäumen Schutz gesucht, ging er dorthin. Er sagte, es waren kahle Birken, doch ihre Zweige waren so zusammengewachsen, dass er sich bücken musste, um darunter durchzupassen.
Er trat in den Hain und sah, dass es gar keiner war, sondern ein Kreis von Bäumen. Sehr große Bäume standen in regelmäßigen Abständen um ihn herum, und kleinere Schösslinge wuchsen dazwischen und bildeten eine Wand aus Zweigen. Und in der Mitte des Kreises war ein Hügelgrab.«
Trotz der Hitze in der Wirtschaft fühlte ich mich doch, als sei mir ein Eissplitter an der Wirbelsäule heruntergeglitten. Ich hatte in den Highlands solche uralten Hügelgräber gesehen und fand sie schon bei Tageslicht unheimlich genug.
Jamie trank einen Schluck Ale und wischte sich einen Schweißtropfen weg, der ihm die Schläfe herunterlief.
»Er fühlte sich ziemlich merkwürdig, unser Gavin. Denn er kannte die Stelle – jeder kannte sie und hielt sich von ihr fern. Es war seltsam dort. Und in der Kälte und Dunkelheit kam es ihm noch schlimmer vor als bei Tageslicht. Es war ein altes Hügelgrab mit einem Fundament aus großen Felsplatten, auf die man Steine gehäuft hatte, und vor sich sah er die schwarze Öffnung der Grabkammer.
Er wusste, dass man diesen Ort auf keinen Fall betreten sollte, vor allem nicht ohne Amulett. Gavin trug nur ein Holzkreuz um den Hals. Also bekreuzigte er sich damit und wandte sich zum Gehen.«
Jamie hielt inne und trank einen Schluck Ale.
»Doch als Gavin aus dem Hain heraustrat«, sagte er leise, »hörte er hinter sich Schritte.«
Ich sah, wie sich der Adamsapfel in Ians Kehle auf und ab bewegte. Er griff mechanisch nach seinem Becher, die Augen gebannt auf seinen Onkel gerichtet.
»Er blickte nicht hinter sich«, fuhr Jamie fort, »sondern ging weiter. Und die Schritte hielten mit ihm mit, Schritt für Schritt folgten sie ihm. Dann kam er im Torfmoor an eine Stelle, wo Wasser hochquoll, und weil es so kalt war, war dort eine Eiskruste. Er hörte den Torf unter seinen Füßen knacken und hinter sich das Krack! Krack! zerbrechenden Eises.
Er ging weiter und weiter durch die kalte, dunkle Nacht und hielt Ausschau nach dem Licht der Kerze, die seine Frau ins Fenster gestellt hatte. Aber das Licht zeigte sich nicht, und er begann zu befürchten, dass er sich in der Heide und den dunklen Hügeln verlaufen hatte. Und die ganze Zeit hielten die Schritte mit ihm mit und hallten in seinen Ohren.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus, ergriff das Kreuz um seinen Hals und schwang sich mit einem lauten Schrei herum, um sich dem Verfolger – wer immer es war – zu stellen.«
»Was hat er gesehen?« Ians Pupillen waren geweitet, dunkel vom Alkohol und vor Staunen. Jamie sah den Jungen an und nickte dann Duncan zu, den Faden der Geschichte aufzunehmen.
»Er sagte, es war eine Gestalt wie ein Mann, nur ohne Körper«, sagte Duncan ruhig. »Ganz weiß, als wäre sie aus Nebel gemacht. Aber mit Riesenlöchern, wo die Augen hätten sein sollen, schwarz und leer, so dass es ihm vor Schrecken fast die Seele aus dem Leib zog.«
»Aber Gavin hielt sich das Kreuz vors Gesicht und betete laut zur Jungfrau Maria.« Jamie übernahm wieder, konzentriert nach vorn gebeugt, und der gedämpfte Feuerschein umrandete sein Profil mit Gold. »Und das Wesen kam nicht näher, sondern blieb, wo es war, und beobachtete ihn.
Und so begann er, rückwärtszugehen, weil er sich nicht traute, sich wieder umzudrehen. Er ging rückwärts, stolperte und rutschte aus, fürchtete, er könnte jeden Moment in einen Bach oder von einem Abhang stürzen und sich den Hals brechen, doch er fürchtete sich noch mehr davor, dem kalten Wesen den Rücken zuzukehren.
Er konnte nicht sagen, wie lange er so gegangen war, nur, dass seine Beine vor Schwäche zitterten, als er endlich ein Licht im Nebel erblickte, und das war seine Kate mit der Kerze im Fenster. Er tat einen Freudenschrei und wandte sich der Tür zu, aber das kalte Wesen war schneller und schlüpfte an ihm vorbei, um sich zwischen ihn und die Tür zu stellen.