»Ich bin für den Norden«, sagte Duncan, ohne zu zögern. »Du hast doch Verwandte in Cape Fear, oder? Mir gefällt die Vorstellung nicht, zu lange unter Fremden zu bleiben. Und deine Verwandtschaft würde dafür sorgen, dass wir nicht übers Ohr gehauen oder ausgeraubt werden. Hier –« Er zog die Schulter zu einer Geste hoch, die alles über die unschottischen – und damit automatisch unehrlichen – Menschen um uns herum sagte.
»Ach ja, lass uns nach Norden gehen, Onkel Jamie!«, sagte Ian schnell, bevor Jamie antworten konnte. Er wischte sich mit dem Ärmel einen kleinen Schnurrbart aus Bierschaum ab. »Die Reise könnte gefährlich werden; du brauchst bestimmt einen zusätzlichen Mann zum Schutz, aye?«
Jamie vergrub seine Miene in seinem Becher, aber ich saß nah genug bei ihm, um zu spüren, wie ihn ein Zittern überlief. Jamie hatte seinen Neffen wirklich herzlich gern. Was aber nichts daran änderte, dass Ian zu der Sorte Menschen gehörte, die das Missgeschick anzieht. Normalerweise konnte er nichts dafür, aber es passierte dennoch einfach immer wieder.
Im Jahr zuvor war der Junge von Piraten entführt worden, und weil wir ihn retten mussten, waren wir auf verschlungenen und oftmals gefährlichen Wegen nach Amerika gekommen. In letzter Zeit war nichts vorgefallen, aber ich wusste, dass Jamie darauf brannte, seinen fünfzehnjährigen Neffen zurück nach Schottland und zu seiner Mutter zu schicken, bevor es dazu kam.
»Äh … um ehrlich zu sein, Ian«, sagte Jamie und senkte seinen Becher. Er achtete sorgfältig darauf, meinem Blick auszuweichen, doch ich sah, wie sein Mundwinkel zuckte. »Du wärst bestimmt eine große Hilfe, aber …«
»Vielleicht treffen wir ja auf Indianer!«, sagte Ian mit weit aufgerissenen Augen. Sein Gesicht, das sowieso schon von der Sonne rosig braun gefärbt war, glühte jetzt rot vor wohliger Vorfreude. »Oder wilde Tiere! Dr. Stern hat mir gesagt, dass die Wildnis von Carolina vor Raubtieren nur so wimmelt – Bären und Wildkatzen und hinterlistige Panther – und große, widerwärtige Bestien, die die Indianer Skunks nennen!«
Ich verschluckte mich an meinem Ale.
»Alles in Ordnung, Tante Claire?« Ian beugte sich besorgt über den Tisch.
»Bestens«, keuchte ich und wischte mir das triefende Gesicht mit meinem Halstuch ab. Ich tupfte mir die verschütteten Biertropfen aus dem Ausschnitt und lüpfte unauffällig den Stoff meines Mieders, um vielleicht etwas Luft hereinzulassen.
Dann sah ich Jamies Gesicht, in dem der Ausdruck unterdrückter Belustigung einem leichten, besorgten Stirnrunzeln gewichen war.
»Skunks sind nicht gefährlich«, murmelte ich und legte eine Hand auf sein Knie. In seiner Heimat, dem schottischen Hochland, war Jamie ein erfahrener Jäger, doch genau deshalb neigte er auch dazu, sich der unbekannten Fauna der Neuen Welt mit Vorsicht zu nähern.
»Mmpf.« Das Stirnrunzeln ließ nach, doch eine schmale Falte blieb zwischen seinen Augenbrauen stehen. »Mag sein, aber was ist mit dem Rest? Ich kann nicht behaupten, dass ich gern einem Bären oder einem Haufen Wilder begegnen würde, wenn ich nur das hier in der Hand habe.« Er berührte das große Messer, das in einer Scheide an seinem Gürtel hing.
Unser Mangel an Waffen hatte Jamie schon in Georgia große Sorgen gemacht, und Ians Bemerkungen über Indianer und wilde Tiere hatten ihm diese Sorge wieder zu Bewusstsein gebracht. Neben Jamie trug nur noch Fergus eine kleinere Klinge, mit der man Stricke zerschneiden und Zweige zu Zunder stutzen konnte. Das war unser ganzes Arsenal – die Oliviers hatten weder Pistolen noch Schwerter entbehren können.
Von Georgia nach Charleston waren wir in Gesellschaft einer Gruppe von Reis- und Indigofarmern gereist – alle bis an die Zähne mit Messern, Pistolen und Musketen bewaffnet –, die ihre Erzeugnisse zum Hafen brachten, von wo aus sie in den Norden, nach Pennsylvania und New York verschifft werden sollten. Wenn wir jetzt nach Cape Fear aufbrachen, würden wir allein sein, unbewaffnet und allem, was aus den dichten Wäldern auftauchen mochte, mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.
Gleichzeitig gab es jedoch triftige Gründe, nach Norden zu reisen, und unser Mangel an verfügbarem Kapital war einer davon. Am Cape Fear war die größte Ansiedlung schottischer Highlander in den amerikanischen Kolonien, und es gab dort mehrere Städte, deren Einwohner infolge des Umbruchs nach Culloden während der letzten zwanzig Jahre aus Schottland emigriert waren. Unter diesen Emigranten befanden sich Verwandte von Jamie, und ich wusste, dass sie uns bereitwillig Zuflucht gewähren würden: ein Dach über dem Kopf, ein Bett und Zeit, um in dieser neuen Welt Fuß zu fassen.
Jamie trank noch einen Schluck und nickte Duncan zu.
»Ich kann nur sagen, ich bin deiner Meinung, Duncan.« Er lehnte sich an die Wand und schaute sich unauffällig im Raum um. »Spürst du die Blicke in deinem Rücken nicht?«