Der Pastor blieb stehen, die Zügel in der Hand, und sprach ernst mit Lord John. Dann ließ er die Zügel fallen, wandte sich entschlossen um und kam über den Hof zu mir. Er streckte die Hand aus und legte sie sanft auf meinen zerzausten Kopf.
Er sprach zwei deutsche Worte und fügte die lateinische Übersetzung an.
»Er hat gesagt –«, begann Lord John.
»Ich verstehe.«
Wir standen schweigend vor der Tür und sahen zu, wie Gottfried durch den Kastanienhain ritt. Der Friede hier draußen kam mir unpassend vor, die sanfte Herbstsonne auf meinen Schultern und die Vögel, die in den Wipfeln der Bäume saßen. Ich hörte in der Ferne einen Specht klopfen, und die Spottdrosseln, die in der großen Blaufichte hausten, sangen ein fließendes Duett. Keine Eulen, aber natürlich gab es jetzt keine Eulen; es war Vormittag.
War er in ein Dorf eingedrungen? Und wenn, wie viel Blutvergießen hatten er und seine Söhne hinterlassen? Schlimmer noch, wie viel Blutvergießen würde daraus entstehen?
Mich schauderte, und trotz des Sonnenscheins wurde mir kalt. Mueller war nicht der Einzige, der an Rache glaubte. Die Familie, der Clan, das Dorf derjenigen, die er ermordet hatte – sie würden ebenfalls Rache für ihre Gefallenen suchen; und sie würden sich vielleicht nicht mit den Muellers begnügen – wenn sie überhaupt wussten, wer die Mörder waren.
Und wenn nicht, wenn sie nur wussten, dass die Mörder Weiße waren … Mich schauderte erneut. Ich hatte schon genug Geschichten von Massakern gehört, um zu wissen, dass die Opfer nur sehr selten ihr Schicksal selbst provoziert hatten; sie hatten nur das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Fraser’s Ridge lag genau zwischen dem Muellerhof und den Indianerdörfern – was im Moment entschieden der falsche Ort zu sein schien.
»Oh, Gott, ich wünschte, Jamie wäre hier.« Mir war nicht bewusst, dass ich laut gesprochen hatte, bis Lord John antwortete.
»Ich auch«, sagte er. »Obwohl ich anfange zu glauben, dass William bei ihm viel sicherer ist, als er es hier wäre – und das nicht nur wegen der Krankheit.«
Ich sah ihn an, und plötzlich wurde mir klar, wie schwach er immer noch war; dies war das erste Mal seit einer Woche, dass er das Bett verlassen hatte. Unter den Überresten des Ausschlags war sein Gesicht weiß, und er lehnte sich gegen den Türpfosten, um nicht hinzufallen.
»Ihr solltet überhaupt nicht auf sein!«, rief ich aus und fasste ihn am Arm. »Geht ins Haus und legt Euch sofort hin.«
»Ich habe nichts«, sagte er gereizt, zog aber weder den Arm weg, noch protestierte er, als ich darauf bestand, dass er sich wieder ins Bett legte.
Ich kniete mich hin, um nach Ian zu sehen, der sich unruhig und fieberglühend auf dem Rollbett herumwarf. Seine Augen waren geschlossen, seine Gesichtszüge geschwollen und durch den ausbrechenden Ausschlag entstellt, und die Lymphdrüsen in seinem Hals waren so rund und hart wie Eier.
Rollo steckte fragend die Nase unter meinem Ellbogen durch, stieß seinen Herrn sanft an und jaulte.
»Er wird schon wieder«, sagte ich bestimmt. »Warum gehst du nicht nach draußen und hältst Ausschau nach unserem Besuch, hm?«
Doch Rollo ignorierte diesen Rat und saß stattdessen da und sah geduldig zu, wie ich ein Tuch in kühlem Wasser auswrang und Ian wusch. Ich rüttelte ihn halb wach, bürstete ihm die Haare, gab ihm den Nachttopf und überredete ihn, etwas Melissensirup zu sich zu nehmen – und lauschte dabei die ganze Zeit auf Hufschläge und Clarence’ fröhliche Ankündigung, dass wir Gesellschaft bekamen.
Es wurde ein langer Tag. Nachdem ich stundenlang bei jedem Geräusch zusammengefahren war und bei jedem Schritt über meine Schulter geblickt hatte, konzentrierte ich mich schließlich auf meine Tagesarbeit. Ich versorgte Ian, der fieberte und sich elend fühlte, fütterte das Vieh, rupfte Unkraut im Garten, pflückte zarte, junge Gurken zum Einlegen und ließ Lord John, der mir seine Hilfe anbot, Bohnen enthülsen.
Auf dem Weg vom Abort zum Ziegenstall blickte ich sehnsuchtsvoll in den Wald. Ich hätte viel darum gegeben, einfach in diese kühlen, grünen Tiefen davonzuwandern. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ich einen solchen Impuls hatte. Doch die Herbstsonne brannte auf unseren Hof herab, und die Stunden verstrichen in friedlicher Stille ohne eine Spur von Gerhard Mueller.
»Erzählt mir von diesem Mueller«, sagte Lord John. Sein Appetit kehrte zurück; er hatte seine Portion gebratene Champignons komplett gegessen, obwohl er den Salat aus Löwenzahnblättern und Kermesbeeren beiseitegeschoben hatte.