Die Stimmen um sie herum schwollen zu einem zustimmenden Rauschen an, als sie in den Refrain einfielen. Sie erlebte einen Anflug von Panik und wäre am liebsten geflüchtet wie Johnnie Cope, doch es ging vorbei. Danach fühlte sie sich von ihren Emotionen genauso erschlagen wie von der Musik.
Ja, Johnnie Cope ging immer noch um. Und er würde gegenwärtig bleiben, solange dieses Lied gesungen wurde. Manche Menschen versuchten, die Vergangenheit zu bewahren, andere wollten ihr entkommen. Und das war so ziemlich die größte Kluft zwischen ihr und Roger. Warum war ihr das nicht schon früher eingefallen?
Sie wusste nicht, ob Roger ihre Unruhe wahrgenommen hatte, doch er verließ das gefährliche Thema Jakobiten und begann »MacPherson’s Lament«, das er nur mit gelegentlichen Berührungen der Saiten begleitete. Die Frau neben Brianna seufzte und blickte mit Rehaugen auf die Bühne, als die Geschichte des zum Tode verurteilten Fiedlers erklang, der selbst vor dem Galgen nicht von der Musik lassen konnte.
Sie griff nach dem Umschlag und wog ihn in der Hand. Vielleicht sollte sie warten, bis sie zu Hause war. Doch ihre Neugier rang mit ihrem Zögern. Roger war sich nicht sicher gewesen, ob er ihr den Umschlag geben sollte; das hatte sie an seinem Blick erkannt.
»… ein
»Und jetzt ›The Sheriffmuir Fight‹ aus der Zeit des ersten Jakobitenaufstandes im Jahr 1715.«
Seine Finger verschoben sich unter dem Trommelfell, und die Schläge wurden tiefer und nahmen einen kriegerischen Ton an, Donnerschläge, die die Worte untermalten. Das Publikum benahm sich immer noch, richtete sich aber auf und beugte sich vor, während es dem Gesang folgte, der die Schlacht von Sheriffmuir im blutigen Detail beschrieb und die Clans nannte, die daran teilgenommen hatten.
Als das Lied zu Ende war, schob sie ihre Finger in den Umschlag und zog einen Stapel Fotografien heraus. Alte Schnappschüsse, deren Schwarzweiß zu Brauntönen verblichen war. Ihre Eltern. Frank und Claire Randall, die beide auf eine absurde Weise jung aussahen – und furchtbar glücklich.
Sie waren irgendwo in einem Garten. Liegestühle und ein Tisch mit Getränken standen vor einem Hintergrund, der gefleckt war mit diffusem Licht, das durch die Laubbäume fiel. Doch ihre Gesichter waren klar zu erkennen – lachende Gesichter, die vor Jugend glühten. Sie hatten nur Augen füreinander.
In der üblichen Pose, Arm in Arm und gleichzeitig voll Spott über die eigene Förmlichkeit. Und dann Claire, die sich bog vor Lachen über etwas, was Frank gesagt hatte, und ihren weiten, im Wind flatternden Rock festhielt, wogegen ihr lockiges Haar nicht zu bändigen war. Frank, der Claire ein Glas reichte, während sie ihm mit einem derart hoffnungsvollen Blick ins Gesicht sah, dass der Anblick Brianna das Herz schwermachte.
Dann betrachtete sie das letzte Bild, und ihr wurde klar, was sie da sah. Die beiden standen am Tisch, hielten gemeinsam ein Messer fest und lachten, als sie eine ganz offensichtlich selbstgebackene Torte anschnitten. Eine Hochzeitstorte.
»Und zum Schluss eins meiner Lieblingslieder, das Sie bestimmt kennen. Man sagt, ein gefangener Jakobit habe das Lied auf dem Weg zum Galgen nach London an seine Frau in den Highlands geschickt.«