»Stephen Bonnet? Wie kann er nur glauben, dass ich ihm deswegen Vorwürfe mache? So etwas habe ich nie zu ihm gesagt!« Und ich war viel zu sehr mit dem Gedanken beschäftigt gewesen, dass er
Ian kratzte sich in den Haaren.
»Na ja … verstehst du denn nicht, Tante Claire? Er macht es sich selbst zum Vorwurf. Schon seit der Mann uns auf dem Fluss überfallen hat; und was er jetzt meiner Cousine angetan hat …« Er zuckte mit den Achseln und sah leicht verlegen aus. »Es frisst ihn auf, und der Gedanke, dass du wütend auf ihn bist –«
»Aber ich bin doch gar nicht wütend auf ihn! Ich habe gedacht, er wäre wütend auf mich, weil ich ihm Bonnets Namen nicht sofort gesagt habe.«
»Och.« Ian sah aus, als wüsste er nicht, ob er lachen oder verstört aussehen sollte. »Na ja, man kann wohl sagen, dass es uns eine Menge Ärger erspart hätte, wenn du das getan hättest, aber nein, ich bin mir sicher, dass es nichts damit zu tun hat, Tante Claire. Als Brianna es dir erzählt hat, hatten wir diesen MacKenzie schließlich schon auf dem Berg gefunden und ihm nicht besonders freundlich mitgespielt.«
Ich holte tief Luft und atmete wieder aus.
»Aber du glaubst, er glaubt, ich bin wütend auf ihn?«
»Oh, jeder kann sehen, dass du das bist, Tante Claire«, versicherte er mir ernsthaft. »Du siehst ihn nicht an und sprichst nur mit ihm, wenn du musst – und«, sagte er und räusperte sich verlegen, »ich habe dich im vergangenen Monat nicht zu ihm ins Bett gehen sehen.«
»Na ja, er ist auch nicht in meins gekommen!«, sagte ich aufgebracht, bevor mir der Gedanke kam, dass dies wohl kaum eine Unterhaltung war, die dazu geeignet war, sie mit einem Siebzehnjährigen zu führen.
Ian zog die Schultern hoch und machte ein Gesicht wie eine Eule.
»Na ja, er hat seinen Stolz, nicht wahr?«
»Weiß Gott, den hat er«, sagte ich und rieb mir mit der Hand durch das Gesicht. »Ich – hör mal, Ian, danke, dass du mir das gesagt hast.«
Ein so frohes Lächeln wie jetzt war nur selten in seinem langen, gutmütigen Gesicht zu sehen.
»Na ja, ich hasse es, ihn leiden zu sehen. Ich hab Onkel Jamie lieb, aye?«
»Ich auch«, sagte ich und schluckte den kleinen Kloß in meinem Hals herunter. »Gute Nacht, Ian.«
Ich durchschritt das Haus leise der Länge nach, vorbei an den Verschlägen, in denen ganze Familien schliefen. Ihre gemeinsamen Atemgeräusche waren ein friedlicher Gegensatz zum ängstlichen Schlagen meines Herzens. Draußen regnete es; Wasser tropfte durch die Rauchabzüge und verdunstete zischend in der Glut.
Warum hatte ich nicht gesehen, was Ian aufgefallen war? Das war leicht zu beantworten; es war nicht Wut gewesen, sondern mein eigenes Schuldgefühl, das mich geblendet hatte. Ich hatte mein Wissen über die Rolle, die Bonnet gespielt hatte, nicht nur verheimlicht, weil Brianna mich darum gebeten hatte, sondern auch wegen des goldenen Eherings; ich hätte sie überreden können, es Jamie zu erzählen, wenn ich es nur versucht hätte.
Sie hatte recht; früher oder später würde er sich auf die Jagd nach Bonnet begeben. Doch mein Glaube an seine Erfolgsaussichten war etwas stärker als der ihre. Nein, es war der Ring gewesen, der mich hatte schweigen lassen.
Warum sollte ich mich deswegen schuldig fühlen? Es gab keine vernünftige Antwort; den Ring zu verstecken, war Instinkt gewesen, keine bewusste Entscheidung. Ich hatte ihn Jamie nicht zeigen, ihn nicht vor seinen Augen wieder anstecken wollen. Und dennoch hatte ich ihn behalten wollen – ihn behalten müssen.
Es brach mir das Herz, wenn ich an die letzten paar Wochen dachte, daran, wie Jamie sich grimmig voller Einsamkeit und Schuld an die notwendige Wiedergutmachung begab. Das war es schließlich, warum ich mitgekommen war – weil ich Angst hatte, dass er nicht zurückkehren würde, wenn er allein ging. Angestachelt von Schuld und Mut, war es möglich, dass er sich zum Leichtsinn hinreißen ließ; ich wusste, dass er vorsichtig sein würde, wenn er auf mich Rücksicht nehmen musste. Und die ganze Zeit über hatte er sich nicht nur allein geglaubt, sondern auch gedacht, der einzige Mensch, der ihm Trost hätte bieten können – und sollen –, würde ihm bittere Vorwürfe machen.
Oh, ja, es fraß ihn auf.
Bei dem Verschlag blieb ich stehen. Das Bord war vielleicht zweieinhalb Meter breit, und er lag ganz hinten; ich konnte kaum mehr von ihm sehen als eine Auswölbung unter einer Kaninchenfelldecke. Er lag ganz still, doch ich wusste, dass er nicht schlief.
Ich kletterte auf das Podest, und als ich mich sicher in der Dunkelheit des Verschlages befand, schlüpfte ich aus meinen Kleidern. In dem Langhaus war es einigermaßen warm, doch meine nackte Haut zog sich zusammen, und meine Brustwarzen verhärteten sich. Meine Augen hatten sich an das gedämpfte Licht gewöhnt; ich konnte sehen, dass er mir zugewandt auf der Seite lag. Ich erspähte den Glanz seiner Augen in der Dunkelheit, sie waren offen und beobachteten mich.