»Sie hat auf einem Baumstumpf gesessen und geschluchzt, als ich sie gefunden habe«, sagte er. »Also habe ich ihr den Jungen abgenommen und sie fortgeschickt, damit sie ein bisschen allein sein kann.«
»Sie hat geweint? Was war denn los?«
Ein kleiner Schatten wanderte über Jamies Gesicht.
»Ich nehme an, sie trauert um Ian, oder?« Er vergaß ihre und seine Trauer, ergriff meinen Arm und wandte sich wieder dem Pfad zu, der bergauf führte.
»Komm mit mir nach oben, Sassenach, und sieh dir an, was ich heute geschafft habe. Ich habe den Fußboden für dein Sprechzimmer gelegt; jetzt braucht es nur noch ein provisorisches Dach, und man kann darin schlafen.« Er sah sich nach dem Blockhaus um. »Ich habe mir gedacht, dass wir MacKenzie da unterbringen könnten – fürs Erste.«
»Gute Idee.« Selbst mit dem zusätzlichen, kleinen Zimmer, das er für Brianna und Lizzie an das Blockhaus angebaut hatte, wohnten wir dort mehr als beengt. Und wenn Roger mehrere Tage ans Bett gefesselt war, dann war es mir ganz recht, wenn er nicht mitten im Haus lag.
»Wie geht es ihnen?«, fragte er mit gestellter Beiläufigkeit.
»Wem? Meinst du Brianna und Roger?«
»Wen denn sonst?«, fragte er, diesmal ohne Beiläufigkeit. »Vertragen sie sich?«
»Oh, ich glaube schon. Sie gewöhnen sich gerade wieder aneinander.«
»Ach ja?«
»Ja«, sagte ich und blickte hinter mich auf das Blockhaus. »Er hat sich soeben in ihren Schoß übergeben.«
Kapitel 67
Zwei Seiten einer Medaille
Roger wälzte sich auf die Seite und setzte sich hin. Es war noch kein Glas in den Fenstern – das war auch nicht nötig, solange das Sommerwetter schön blieb –, und das Sprechzimmer befand sich an der Vorderseite des neuen Hauses, dem Abhang zugewandt. Wenn er den Hals zur Seite reckte, konnte er Brianna den Großteil des Weges zum Blockhaus hinunter nachsehen, bevor sie zwischen den Kastanienbäumen verschwand.
Ein letztes Aufflackern des rostbraunen Stoffes, dann war sie fort. Sie war heute Abend ohne das Baby gekommen; er wusste nicht, ob das ein Fortschritt war oder das Gegenteil. Sie hatten sich unterhalten können, ohne ständig durch nasse Windeln, Quäken, Meckern, Stillen und Spucken unterbrochen zu werden; das war ein seltener Luxus.
Doch sie war nicht so lange wie sonst geblieben – er konnte spüren, wie das Kind sie von ihm fortzog, als wäre sie durch ein Gummiband mit ihm verbunden. Er nahm es dem Giftzwerg nicht übel, redete er sich fest ein. Es war nur, dass … na ja, nur, dass er es dem Giftzwerg übelnahm. Das hieß aber nicht, dass er ihn nicht
Er hatte noch nichts gegessen; hatte keine Sekunde ihrer kostbaren Zweisamkeit damit verschwenden wollen. Er deckte den Korb ab, den sie mitgebracht hatte, und atmete den warmen, würzigen Geruch von Eichhörncheneintopf und frischem Brot mit Butter ein. Und Apfelkuchen.
Sein Fuß pochte immer noch, und es kostete ihn beträchtliche Mühe, nicht an die hilfsbereiten Maden zu denken, doch sein Appetit war trotzdem mit Macht zurückgekehrt. Er aß langsam und genoss das Essen und die stille Abenddämmerung, die unten über den Berghang kroch.
Fraser hatte gewusst, was er tat, als er den Standort für dieses Haus wählte. Es überblickte den kompletten Bergrücken, und die Aussicht erstreckte sich weithin bis zum Fluss und darüber hinaus, zu den nebelgefüllten Tälern und den dunklen Gipfeln, die den sternenbesäten Himmel berührten. Es war eines der einsamsten, großartigsten, herzerweichend romantischsten Fleckchen Erde, die er je gesehen hatte.
Und Brianna war dort unten und stillte einen kleinen, kahlköpfigen Parasiten, während er hier oben war – allein mit ein paar Dutzend Freunden.
Er stellte den leeren Korb auf den Boden, hüpfte zu dem Nachtgeschirr in der Ecke, dann zurück zu seinem einsamen Bett auf der neuen Sprechzimmerliege. Warum zum Teufel hatte er ihr nur gesagt, er wüsste es nicht, als sie ihn gefragt hatte, warum er zurückgekommen war?
Na ja, weil er es in diesem Augenblick auch nicht gewusst
Pflichtgefühl? Liebe? Wie zum Teufel sollte man jemanden lieben, ohne ihm gegenüber auch verpflichtet zu sein?
Er wälzte sich unruhig auf die andere Seite und drehte der glorreichen Nacht voller Düfte und sonnengewärmter Winde den Rücken zu. Das Problem dabei, dass er seine Gesundheit wiederfand, war, dass einige seiner Körperteile inzwischen so gesund waren, dass es nicht mehr schön war – vor allem weil ihre Chance, eine Gelegenheit zu angemessener Betätigung zu bekommen, unter null lag.