In der Nähe befand sich ein Herrenhaus mit Nebengebäuden, ebenfalls in Ruinen, obwohl hier mehr übrig war. Das fast zur Unleserlichkeit verwitterte Verkaufsschild eines Maklers stand an einen Pfosten genagelt auf dem Hof. Roger hielt auf dem Hang über dem Haus und sah sich um. Auf den ersten Blick konnte er nichts erkennen, was erklärt hätte, warum Claire ihre Tochter von hier fernhalten wollte.
Er parkte den Morris auf dem Hof und stieg aus. Es war wunderschön hier, aber sehr abgelegen; er hatte fast fünfundvierzig Minuten gebraucht, um den Wagen von der Landstraße aus vorsichtig über den zerfurchten Feldweg zu manövrieren, ohne sich die Ölwanne zu demolieren.
Das Haus betrat er nicht; es war eindeutig verlassen und möglicherweise gefährlich – er würde dort nichts finden. Doch der Name FRASER war in den Türsturz geschnitzt, und derselbe Name zierte auch den Großteil der kleinen Grabsteine an der Stelle, die der Familienfriedhof sein musste – zumindest, soweit sie lesbar waren. Auch nicht sehr hilfreich, dachte er. Keiner dieser Steine trug den Namen eines Mannes auf seiner Liste. Er würde dem Sträßchen weiter folgen müssen, seiner Karte nach lag das Dorf Broch Mordha drei Meilen weiter.
Wie er schon befürchtet hatte, war die kleine Dorfkirche aufgegeben und vor Jahren abgerissen worden. Hartnäckiges Anklopfen an diversen Haustüren brachte ihm ausdruckslose Blicke, finstere Mienen und schließlich die skeptische Spekulation eines betagten Bauern ein, die alten Register der Pfarre wären entweder an das Museum in Fort William gegangen oder vielleicht nach Inverness; da gäbe es einen Pfarrer, der solchen Krempel sammelte.
Müde und staubig, aber noch nicht entmutigt trottete Roger zurück zu seinem Auto, das vor der Dorfkneipe am Straßenrand stand. Das war ein Rückschlag, wie er in der historischen Feldforschung häufig vorkam, und er war daran gewöhnt. Ein schnelles Bier – nun ja, vielleicht zwei, es war ein ungewöhnlich warmer Tag – und dann weiter nach Fort William.
Es würde ihm ganz recht geschehen, dachte er selbstironisch, wenn sich am Ende herausstellte, dass die Dokumente, nach denen er suchte, im Archiv des Reverends lagerten. Das hatte er davon, wenn er seine Arbeit um eines fragwürdigen Unterfangens willen vernachlässigte, nur um ein Mädchen zu beeindrucken. Sein Ausflug nach Edinburgh hatte nicht viel mehr gebracht, als die drei Namen zu eliminieren, die er im Culloden House gefunden hatte; es hatte sich herausgestellt, dass sie alle drei aus anderen Regimentern stammten und nicht zu der Gruppe aus Broch Tuarach gehörten.
Die Stuart-Papiere nahmen drei ganze Räume des Museums ein, dazu unzählige Umzugskisten im Keller, so dass er kaum behaupten konnte, erschöpfende Nachforschungen angestellt zu haben. Dennoch, er hatte eine Kopie des Soldregisters aus dem Culloden House gefunden, in dem die Männer als Teil eines Regiments aufgeführt waren, das unter dem Oberbefehl des jungen Lovat stand – damit war der Sohn des Alten Fuchses gemeint, der ebenfalls Simon hieß. Der hinterlistige Alte Fuchs hatte seine Loyalität aufgeteilt, dachte Roger; hatte seinen Erben in den Kampf für die Stuarts geschickt und war selbst zu Hause geblieben, um behaupten zu können, die ganze Zeit König Geordies treuer Untertan gewesen zu sein. Viel hatte es ihm nicht genützt.
Dieses Dokument hatte Simon Fraser, den Jüngeren, als Kommandeur angegeben und James Fraser nicht erwähnt. Doch in einer Reihe von Armeedepeschen, Notizen und anderen Dokumenten wurde ein James Fraser erwähnt. Wenn es derselbe Mann war, hatte er sich mit großem Einsatz an dem Feldzug beteiligt. Allerdings war es unmöglich zu sagen, ob es sich um den Mann aus Broch Tuarach handelte, solange er sich nur auf den Namen »James Fraser« stützen konnte; der Name James war in den Highlands genauso häufig wie Duncan oder Robert. Nur einmal wurde ein James Fraser mit einer Reihe zusätzlicher Namen erwähnt, die bei seiner Identifikation helfen konnten, doch in diesem Dokument wurden seine Männer nicht erwähnt.
Er zuckte mit den Schultern, um eine Wolke gieriger Mücken zu verscheuchen. Diese Register systematisch durchzuarbeiten, würde mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Da er die Mücken nicht von sich ablenken konnte, betrat er geduckt die dunkle Brauhausatmosphäre der Kneipe und ließ die wilde, aufdringliche Wolke hinter sich.
Während er an seinem kühlen, bitteren Ale nippte, ging er im Kopf noch einmal durch, was er bis jetzt geschafft hatte und welche Möglichkeiten ihm offenstanden. Ihm blieb heute noch genug Zeit, nach Fort William zu fahren, obwohl das bedeuten würde, dass er spät zurück nach Inverness kam. Und wenn er im Museum in Fort William nichts zutage brachte, bestand der logische, wenn auch ironische nächste Schritt darin, sich gründlich im Archiv des Reverends umzusehen.