»Was er braucht, ist ein loyaler Diener – und ein Freund.« Abt Alexander tippte mit den Fingern auf einen Brief, der zusammengefaltet, aber mit aufgebrochenem Siegel auf seinem Schreibtisch lag. Er spitzte die Lippen und blickte von mir zu seinem Neffen und zurück.
»Was ich euch jetzt erzähle, darf nicht wiederholt werden«, sagte er streng. »Es wird bald allgemein bekannt werden, aber vorerst …« Ich bemühte mich um eine vertrauenswürdige Miene; Jamie nickte nur mit einem Hauch von Ungeduld.
»Seine Hoheit, Prinz Charles Edward, hat Rom verlassen und wird im Lauf der Woche in Frankreich eintreffen«, sagte der Abt und beugte sich ein wenig vor, als wollte er die Bedeutsamkeit seiner Worte unterstreichen.
Und sie waren bedeutsam. James Stuart hatte 1715 einen misslungenen Versuch unternommen, seinen Thron zurückzuerlangen – eine schlecht geplante Militäroperation, die aus Mangel an Unterstützung so gut wie auf der Stelle gescheitert war. Seitdem, so Alexander, war James von Schottland unermüdlich im Exil tätig, schrieb unablässig an seine Mit-Monarchen, vor allem an seinen Vetter Louis von Frankreich, um auf die Rechtmäßigkeit seines Anspruchs auf den Thron von Schottland und England und der Position seines Sohns, Prinz Charles, als des Erben dieses Throns zu pochen.
»Sein königlicher Vetter Louis hat sich diesen Ansprüchen gegenüber bestürzend taub gezeigt«, sagte der Abt und warf einen stirnrunzelnden Blick auf den Brief, als wäre es Louis. »Sollten ihm jetzt seine Verpflichtungen in dieser Angelegenheit klargeworden sein, ist das für alle, denen das heilige Königsrecht am Herzen liegt, ein Grund zu großem Jubel.«
Für die Jakobiten also, James’ Gefolgsleute. Zu denen auch Abt Alexander vom Kloster Ste. Anne – geboren als Alexander Fraser aus Schottland – zählte. Jamie hatte mir erzählt, dass Alexander zu den regelmäßigsten Korrespondenzpartnern des Exilkönigs zählte und mit allem in Berührung war, was mit der Sache der Stuarts zu tun hatte.
»Seine Position ist ideal«, hatte Jamie mir erklärt, während wir über das Unterfangen sprachen, an dessen Beginn wir standen. »Das päpstliche Botensystem durchquert Italien, Frankreich und Spanien schneller als beinahe jedes andere. Und kein Regierungsbeamter kann einen päpstlichen Kurier aufhalten, daher ist es weniger wahrscheinlich, dass Briefe dieser Boten abgefangen werden.«
In seinem römischen Exil wurde James von Schottland zu einem großen Teil durch den Papst unterstützt, der natürlich sehr daran interessiert war, in England und Schottland wieder eine katholische Monarchie zu installieren. Daher wurde James’ private Post weitgehend durch päpstliche Boten transportiert – und durchlief die Hände loyaler Gefolgsmänner innerhalb der Kirchenhierarchie – wie Abt Alexander von Ste. Anne de Beaupré –, die zuverlässig mit den Anhängern des Königs in Schottland kommunizierten. Dabei war das Risiko deutlich kleiner, als offen Briefe von Rom nach Edinburgh und in die Highlands zu schicken.
Ich beobachtete Alexander aufmerksam, während er die Bedeutung des Prinzenbesuchs in Frankreich erläuterte. Er war ein kräftiger Mann, etwa von meiner Größe, dunkelhaarig und um einiges kleiner als sein Neffe, mit dem er jedoch die leicht schräg stehenden Augen, den scharfen Verstand und das Talent zum Entlarven verborgener Motive teilte, das für alle Frasers, die ich kannte, charakteristisch zu sein schien.
»Nun denn«, sagte er und strich sich über den dunkelbraunen Vollbart, »ich kann also nicht sagen, ob Seine Hoheit auf Louis’ Einladung in Frankreich weilt oder ob er auf Wunsch seines Vaters ohne Einladung gekommen ist.«
»Was ja ein kleiner Unterschied wäre«, stellte Jamie fest und zog skeptisch eine Augenbraue hoch.
Sein Onkel nickte, und im Dickicht seines Bartes zeigte sich kurz ein ironisches Lächeln.
»So ist es, Junge«, sagte er und ließ zu, dass sich ein Hauch von Schottisch in sein übliches, formelles Englisch stahl. »So ist es. Und hier könntest du dich nun mit deiner Frau nützlich machen, wenn du willst.«
Der Vorschlag war simpel: Seine Majestät König James würde die Reisekosten und ein kleines Gehalt zahlen, wenn sich der Neffe seines loyalen und geschätzten Freundes Alexander bereit erklärte, nach Paris zu reisen und dort seinem Sohn, Seiner Hoheit Prinz Charles Edward, zur Seite zu stehen, wo immer dieser es erforderte.