Ich war völlig verdattert. Eigentlich hatten wir vorgehabt, nach Rom zu gehen, weil dies der beste Ort zu sein schien, um mit unserem Vorhaben zu beginnen: den zweiten Jakobitenaufstand, den sogenannten 45er, zu verhindern. Ich wusste, dass dieser Aufstand, der von Frankreich aus finanziert und durch Charles Edward Stuart angeführt wurde, deutlich weiter vorankommen würde als der Anlauf seines Vaters im Jahr 1715 – jedoch nicht annähernd weit genug. Wenn die Dinge so verliefen, wie ich es glaubte, würden die Truppen des Bonnie Prince Charlie 1746 in Culloden eine verheerende Niederlage erleiden, deren Nachwirkungen die Menschen in den Highlands noch zweihundert Jahre später spüren würden.
Jetzt, im Jahr 1744, begann Charles allem Anschein nach tatsächlich gerade, in Frankreich um Hilfe anzufragen. Wo konnte man besser versuchen, eine Rebellion zu verhindern, als an der Seite ihres Anführers?
Ich warf einen Blick auf Jamie, der über die Schulter seines Onkels hinweg einen kleinen Schrein betrachtete, der in die Wand eingelassen war. Seine Augen ruhten auf der vergoldeten Figur der heiligen Anne und dem kleinen Sträußchen Treibhausblumen zu ihren Füßen, während es hinter seinem ausdruckslosen Gesicht arbeitete. Schließlich blinzelte er und lächelte seinen Onkel an.
»Seiner Hoheit zur Seite stehen, wo immer dieser es erfordert? Aye«, sagte er leise. »Ich denke, das kann ich tun. Wir gehen nach Paris.«
Und so geschah es. Statt den direkten Weg zu nehmen, waren wir jedoch an der Küste entlang nach Le Havre gereist, um dort zunächst mit Jamies Vetter Jared zusammenzutreffen.
Jared war ein wohlhabender schottischer Emigrant, der Wein und Spirituosen importierte. Er unterhielt ein kleines Lagerhaus und ein großes Wohnhaus in Paris und ein wirklich großes Lagerhaus hier in Le Havre. Er hatte Jamie darum gebeten, sich dort mit ihm zu treffen, als Jamie ihm geschrieben hatte, dass wir auf dem Weg nach Paris waren.
Ich war jetzt hinreichend ausgeruht, und allmählich bekam ich Hunger. Auf dem Tisch stand etwas zu essen; Jamie musste dem Zimmermädchen aufgetragen haben, mir etwas zu bringen, während ich schlief.
Ich hatte zwar keinen Morgenrock, doch mein schwerer Reiseumhang aus Samt lag in Reichweite; ich setzte mich und zog mir das warme Gewicht über die Schultern, ehe ich aufstand, um mich zu erleichtern, ein neues Holzscheit ins Feuer zu legen und mich dann an mein spätes Frühstück zu begeben.
Zufrieden kaute ich knusprige Brötchen und Backschinken und spülte beides mit der Milch hinunter, die in einem Krug danebenstand. Ich hoffte, dass auch Jamie anständig zu essen bekam; er hatte zwar darauf bestanden, dass ihm Jared freundlich gesinnt war, doch ich hatte meine Zweifel in Bezug auf die Gastfreundschaft von Jamies Verwandten, von denen ich inzwischen einigen begegnet war. Natürlich hatte uns Abt Alexander herzlich aufgenommen – soweit es einem Mann in der Position eines Abtes möglich war, seinen überraschend aufgetauchten vogelfreien Neffen und dessen suspekte Frau herzlich aufzunehmen. Doch unser Aufenthalt bei der Verwandtschaft von Jamies Mutter, den MacKenzies von Leoch, hatte mich um ein Haar das Leben gekostet, als man mich im Herbst dort verhaftet und mir als Hexe den Prozess gemacht hatte.
»Ich gebe ja zu«, hatte ich gesagt, »dass dieser Jared ein Fraser ist und diese Verwandtschaft weniger gefährlich zu sein scheint als die MacKenzies. Aber bist du ihm schon einmal persönlich begegnet?«
»Ich habe mit achtzehn eine Zeitlang bei ihm gewohnt«, sagte er, während er Kerzenwachs auf seine Antwort tropfen ließ und den Ehering seines Vaters auf den grünlich grauen Klecks drückte. Es war ein kleiner, facettengeschliffener Rubin, in dessen Fassung das Clanmotto der Frasers eingraviert war,
»Er hat mich eingeladen, als ich im letzten Schuljahr in Paris war und ein bisschen von der Welt sehen wollte. Er war sehr gütig zu mir; ein guter Freund meines Vaters. Und niemand weiß mehr über die Pariser Gesellschaft als der Mann, der ihr den Alkohol verkauft«, fügte er hinzu und brach den Ring aus dem gehärteten Wachs. »Ich möchte Jared sprechen, ehe ich an Charles Stuarts Seite bei Hofe hereinspaziere; ich wäre mir gern sicher, dass ich auch eine Chance habe, wieder hinauszuspazieren«, schloss er ironisch.
»Warum? Meinst du, dass es Ärger gibt?«, fragte ich. »Seiner Hoheit zur Seite stehen, wo immer dieser es erfordert« schien ja einiges an Spielraum zu lassen.
Er lächelte über meine besorgte Miene.
»Nein, ich rechne nicht mit Schwierigkeiten. Aber wie heißt es in der Bibel, Sassenach? ›Verlasset euch nicht auf Fürsten‹?« Er erhob sich und küsste mich hastig auf die Stirn, während er den Ring wieder in seinen Sporran steckte. »Wer bin ich, dass ich nicht auf das Wort Gottes höre, hm?«