»Aidan!«, rief er. »Jem! Zeit zu gehen!« Dann wandte er sich ganz beiläufig wieder an Bobby und sagte: »Ich glaube, Ihr habt Aidans Mutter noch nicht kennengelernt, Amy McCallum – eine junge Witwe, aye? Mit einem Haus und etwas Land. Sie arbeitet im Haupthaus, wenn Ihr mit zum Essen kommt …«
»Manchmal denke ich darüber nach«, gab Jamie zu. »Frage mich, verstehst du? Was, wenn ich es könnte? Wie würde es sein?«
Er sah Brianna an, lächelnd, aber etwas hilflos, und zuckte mit den Achseln.
»Was meinst du, Brianna? Was könnte ich dort tun? Wie würde es sein?«
»Nun, es –«, begann sie und hielt inne, während sie versuchte, ihn sich in dieser Welt vorzustellen – hinter dem Steuer eines Autos? Mit Anzug und Krawatte im Büro? Diese Vorstellung war so absurd, dass sie lachte. Oder mit Jem und Roger im Kino in einem Godzilla-Film?
»Was heißt Jamie rückwärts buchstabiert?«, fragte sie.
»Eimaj, nehme ich an«, erwiderte er verblüfft. »Wieso?«
»Ich glaube, du würdest gut zurechtkommen«, sagte sie und lächelte. »Egal. Du – nun ja, du könntest ja … Zeitungen herausgeben. Die Druckerpressen sind größer und schneller, und man braucht viel mehr Leute, um die Neuigkeiten zu sammeln, aber sonst – ich glaube nicht, dass es in dieser Zeit so viel anders ist als heute. Das kannst du doch.«
Er nickte, und zwischen seinen dichten Augenbrauen, die den ihren so ähnlich waren, bildete sich eine Falte der Konzentration.
»Wahrscheinlich«, sagte er ein wenig skeptisch. »Meinst du, ich könnte auch Farmer sein? Die Leute essen doch; jemand muss sie versorgen.«
»Ja, das könntest du.« Sie sah sich um und nahm aufs Neue die vertrauten Kleinigkeiten des Hofes wahr; die Hühner, die friedlich im Dreck scharrten, die weichen, verwitterten Bretter des Stalls, den Erdhügel am Fundament des Hauses, wo sich die weiße Sau ihre Höhle gegraben hatte. »Es gibt auch dort noch Menschen, die ihre Farmen genauso betreiben wie heute; kleine Höfe in den Bergen. Es ist ein hartes Leben –« Sie sah ihn lächeln und lachte auf. »Gut, es ist nicht härter, als es heute ist – aber in den Städten ist es sehr viel einfacher.«
Sie hielt inne und überlegte.
»Du brauchtest nicht zu kämpfen«, sagte sie schließlich.
»Nein? Aber du hast doch gesagt, es gibt Kriege.«
»Das stimmt«, sagte sie und wurde von eisigen Nadeln gestochen, als sich die Bilder in ihren Kopf bohrten: Felder voller Mohn, Felder voller weißer Kreuze – ein brennender Mann, ein nacktes Kind, das mit verbrannter Haut auf die Kamera zulief, das verzerrte Gesicht eines Mannes, eine Sekunde, bevor die Kugel in sein Gehirn eindrang. »Aber – aber es sind nur die jungen Männer, die dann kämpfen. Und nicht alle, nur manche.«
»Mmpfm.« Eine Minute überlegte er mit gerunzelter Stirn, dann betrachtete er sie forschend.
»Diese, deine Welt, dieses Amerika«, sagte er schließlich nüchtern. »Diese Freiheit, in die du zurückkehrst. Ihr Preis wird schrecklich sein. Glaubst du, sie ist ihn wert?«
Jetzt war es an ihr, zu schweigen und zu überlegen. Schließlich legte sie ihm die Hand auf den Arm – fest, warm, stabil wie Eisen.
»Es gibt fast nichts, was es wert wäre, dich zu verlieren«, flüsterte sie. »Aber vielleicht kommt das nah heran.«
Wenn es Winter wird auf der Welt und die Nächte lang werden, beginnen die Menschen, im Dunklen aufzuwachen. Zu langes Liegen im Bett verkrampft die Gliedmaßen, und zu lange geträumte Träume drehen sich auf sich selbst zurück, grotesk wie die Fingernägel eines Mandarins. Im Allgemeinen ist der menschliche Körper nicht auf mehr als sieben oder acht Stunden Schlaf eingestellt – doch was geschieht, wenn die Nächte länger sind?
Es kommt zum zweiten Schlaf. Wenn es dunkel geworden ist, schläft man vor Müdigkeit ein – doch dann erwacht man wieder und steigt an die Oberfläche seiner Träume auf wie eine Forelle, die zum Fressen nach oben schwimmt. Und wenn man einen Bettgefährten hat, der dann gleichzeitig aufwacht – und Menschen, die seit Jahren nebeneinander schlafen, wissen sofort, wenn der andere wach ist –, hat man einen kleinen, zurückgezogenen Ort tief in der Nacht, den man teilen kann. Einen Ort, an dem man sich erheben kann, um sich zu recken und einen saftigen Apfel mit ins Bett zu bringen, den man dann Stück für Stück teilt, während Finger über Lippen streifen. Den Luxus einer Unterhaltung genießen kann, die nicht vom Alltag unterbrochen wird. Sich langsam im Licht des Herbstmondes lieben kann.
Und dann dicht beieinanderzuliegen und die Träume des Geliebten als Liebkosung auf der Haut zu spüren, während man erneut in die Wogen des Bewusstseins zu sinken beginnt, freudig gewiss, dass die Dämmerung noch in weiter Ferne liegt – das ist der zweite Schlaf.
Ich tauchte ganz langsam an die Oberfläche meines ersten Schlafs, um festzustellen, dass mein hocherotischer Traum seine Grundlage in der Wirklichkeit hatte.