Und bei Gott, ich erzählte ihm mehr. Bis ins kleinste Detail schilderte ich ihm die Konfrontation zwischen den Schotten und Randalls Männern, da er imstande sein würde, Dougal nach der Richtigkeit meiner Angaben zu fragen. Ich erzählte ihm haargenau die Grundzüge meiner Auseinandersetzung mit Randall, da ich ja nicht wusste, wie viel dieser Murtagh mitbekommen hatte.
Er nickte gebannt und hörte mir aufmerksam zu.
»Aye«, sagte er schließlich. »Aber was hat Euch denn überhaupt dorthin verschlagen? Die Stelle liegt doch weit ab von der Straße nach Inverness – ich vermute, Ihr wolltet dort ein Schiff nehmen?« Ich nickte und holte tief Luft.
Jetzt betraten wir gezwungenermaßen das Reich der Phantasie. Ich wünschte, ich hätte besser zugehört, als mir Frank Geschichten über Straßenräuber erzählt hatte. Jetzt würde ich mir selbst etwas zusammenreimen müssen. Ich war eine Witwe aus Oxfordshire, erwiderte ich (so weit wahr), und befand mich mit einem Bediensteten auf dem Weg zu entfernten Verwandten in Frankreich (das schien mir genügend weit weg zu sein, dass kein Risiko der Überprüfung bestand). Wir waren von Straßenräubern überfallen worden, und mein Bediensteter war entweder umgekommen oder davongelaufen. Ich selbst war zu Pferd in den Wald geflüchtet, war jedoch ein Stück von der Straße entfernt eingeholt worden. Es war mir zwar gelungen, den Banditen wieder zu entwischen, doch ich hatte mein Pferd und all meinen Besitz zurücklassen müssen. Als ich dann zu Fuß durch den Wald irrte, war ich auf Hauptmann Randall und seine Männer gestoßen.
Zufrieden mit meiner Geschichte lehnte ich mich zurück. Einfach, unkompliziert und wahr, soweit sie sich überprüfen ließ. Colums Gesicht drückte nicht mehr als höfliche Aufmerksamkeit aus. Gerade öffnete er den Mund, um mich etwas zu fragen, als es leise an der Tür raschelte. Einer der Männer, die mir bei unserer Ankunft auf dem Innenhof aufgefallen waren, stand mit einer kleinen Lederschatulle dort.
Der Anführer des MacKenzie-Clans entschuldigte sich elegant und ließ mich bei seinen Vögeln zurück, nachdem er mir versichert hatte, dass er in Kürze zurückkehren würde, um unser äußerst interessantes Gespräch fortzusetzen.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als ich schon vor seinem Bücherbord stand und mit der Hand über die ledernen Buchrücken fuhr. Hier standen ungefähr zwei Dutzend Bücher; an der Wand gegenüber waren noch mehr. Hastig schlug ich die Buchdeckel der einzelnen Bände auf. Einige trugen kein Erscheinungsdatum; dort, wo es genannt war, bewegte es sich zwischen 1720 und 1742. Es war nicht zu übersehen, dass Colum MacKenzie den Luxus schätzte, doch der Rest des Zimmers deutete nicht darauf hin, dass er Antiquitäten sammelte. Die Einbände waren neu, nirgendwo war etwas gerissen oder geknickt.
Da ich inzwischen sämtliche gewöhnlichen Skrupel hinter mir gelassen hatte, durchwühlte ich schamlos den Olivenholzschreibtisch, während ich auf zurückkehrende Schritte lauschte.
Ich fand das Gesuchte in der mittleren Schublade. Ein halb fertiger Brief in einer schnörkeligen Handschrift, die durch die exzentrische Rechtschreibung und das völlige Fehlen jeder Interpunktion nicht gerade lesbarer wurde. Das Papier war frisch und sauber, die Tinte kohlrabenschwarz. Lesbar oder nicht, das Datum am Kopf der Seite sprang mir ins Gesicht wie mit Feuer geschrieben: 20. April 1743.
Als Colum ein paar Minuten später zurückkehrte, traf er seinen Gast am Fenster sitzend an, die Hände sittsam im Schoß gefaltet. Sitzend, weil mich meine Beine nicht mehr trugen. Die Hände gefaltet, um das Zittern zu verbergen, durch das es mir so erschwert worden war, den Brief unauffällig wieder an Ort und Stelle zurückzulegen.
Er hatte das bestellte Tablett mit den Erfrischungen mitgebracht; Becher mit Ale und frische Haferkekse mit Honig. Ich knabberte sparsam daran; mein Magen rumorte zu sehr, um an Appetit auch nur zu denken.
Nachdem er sich kurz für seine Abwesenheit entschuldigt hatte, sprach er mir sein Mitgefühl für mein Unglück aus. Dann lehnte er sich zurück, betrachtete mich nachdenklich und fragte: »Aber wie kommt es, Mistress Beauchamp, dass Euch meine Männer nur im Hemd angetroffen haben? Straßenräuber werden sich kaum an Euch vergriffen haben, da sie wahrscheinlich vorhatten, Euch gegen Lösegeld freizulassen. Und trotz allem, was ich über Hauptmann Randall gehört habe, würde es mich überraschen zu hören, dass ein Offizier der englischen Armee die Angewohnheit hat, verirrte Fremde zu vergewaltigen.«
»Ach ja?«, entfuhr es mir empört. »Nun, egal, was Ihr über ihn gehört habt, ich versichere Euch, dass es ihm absolut ähnlich sieht.« Die Sache mit meiner Kleidung hatte ich nicht bedacht, als ich mir meine Geschichte zurechtlegte, und ich fragte mich erneut, an welchem Punkt unseres Zusammentreffens dieser Murtagh den Hauptmann und mich wohl bemerkt hatte.
»Ah, nun ja«, versuchte Colum, mich zu beruhigen. »Möglich, gewiss. Der Mann hat keinen guten Ruf.«