Читаем Русская германистика. Ежегодник Российского союза германистов. Т. 15. Революция и эволюция в немецкоязычных литературах полностью

Man versteht das Wissen in Russland gern als ein Ganzes und legt deswegen einen besonderen Wert auf das Fach"ubergreifende […] Man verstand und versteht noch das Ganze des Wissens […] als ein „organisches“ Ganzes (ein in der russischen Philosophie an der Wende zum 20. Jahrhundert besonders arg strapazierter Begriff), der in sich selbst besteht […] [Michajlov 1995: 188].

Das trifft ganz und gar auf den Gr"undungsvater der russischen Komparatistik, die methodisch in viele Einzelphilologien ausstrahlte, zu, n"amlich auf Aleksandr Veselovskij. Seine Historische Poetik versteht sich dezidiert als Evolutionsgeschichte, als Wissenschaft von den „einfachste[n] poetische[n] Formen“, die als ‚Motive‘, komplexer dann als ‚Sujets‘ „typische[] Schemata“ bildeten, so dass sich Literaturgeschichte als „Evolutionsschema der Sujethaftigkeit“ [Veselovskij 2009: 1, 2, 5] entfalten lasse. Aleksej Zerebin hat diesen holistischen Ansatz Veselovskijs als „eine Art Formgeschichte der Weltliteratur“ [Zerebin 2013: 267] charakterisiert.

Veselovskij entwickelte seine Historische Poetik, nachdem er einige Jahrzehnte Entscheidendes zur europ"aischen M"archen- und Mythenforschung beigetragen hatte. Um Parallelph"anomene in der M"archenliteratur zu erkl"aren, bediente man sich in der zweiten H"alfte des 19. Jahrhunderts dreier unterschiedlicher Narrative, die f"ur drei methodologische Ans"atze stehen: Entweder wurden Parallelen unter dem Begriff ‚Archaik‘ anthropologisch aus Urformen der Mythologie hergeleitet oder aber geographisch-historisch aus dem Prinzip der ‚Migration‘ erkl"art oder schliesslich unter der Kategorie ‚Polygenese‘ aus vergleich-baren Entstehungsumst"anden ohne direkten interkulturellen Kontakt abgeleitet. Egal, welches Narrativ bedient wurde, allen Ans"atzen eignet ein universalhistorisch-holistischer Ansatz des Ganzen der Kultur, der eine Ordnungsstruktur eingeschrieben ist, die sich in Evolutionsgesetzen fassen l"asst.

Michajlov referiert diesen holistischen Grundzug der russischen Literaturwissenschaft mit einem stillen ironischen Genuss. In allen aktuellen westlichen Diskursen war er derart bewandert, dass er genau wusste, wie sein Zielpublikum auf diesen offen substantialistischen Begriff reagieren musste, dass dessen stets aktive poststrukturalistische Virenscanner auf „das Ganze“ sofort reagieren w"urden. Dennoch distanziert er sich nicht davon, im Gegenteil. Seine Erz"ahlungen davon, dass im russischen Umfeld „Nur-Germanisten“ kaum gedeihen konnten, dass man als Vertreter viel gr"osserer Einheiten, wie sie Veselovskij und Curtius vorschwebten, sein Fach auch gelegentlich wechseln konnte, indem man zum Beispiel wie Viktor Zirmunskij aus der Germanistik in die Indogermanistik fl"uchtete, best"atigen den holistischen Ansatz eher.

Noch bei Michajlov gilt also, dass von ‚Evolution‘ nur derjenige reden kann, der die holistisch-metaphysischen Pr"amissen dieses Begriffs bewusst akzeptiert. Gilt das auch f"ur die klassischen Evolutionstheoretiker, f"ur Ejchenbaum, Sklovskij, Tynjanov und ihre Mitstreiter? Ich meine, es gilt ganz uneingeschr"ankt.

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В эту книгу вошли статьи и рецензии, написанные на протяжении тридцати лет (1988-2019) и тесно связанные друг с другом тремя сквозными темами. Первая тема – широкое восприятие идей Михаила Бахтина в области этики, теории диалога, истории и теории культуры; вторая – применение бахтинских принципов «перестановки» в последующей музыкализации русской классической литературы; и третья – творческое (или вольное) прочтение произведений одного мэтра литературы другим, значительно более позднее по времени: Толстой читает Шекспира, Набоков – Пушкина, Кржижановский – Шекспира и Бернарда Шоу. Великие писатели, как и великие композиторы, впитывают и преображают величие прошлого в нечто новое. Именно этому виду деятельности и посвящена книга К. Эмерсон.В формате PDF A4 сохранен издательский макет книги.

Кэрил Эмерсон

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