Enderby war kein Mann, der errötete, aber er hatte tatsächlich soviel Anstand, ein schiefes Grinsen zu zeigen, ehe er in seiner Tasche nach einem weiteren Streichholz fischte.
Sam Collins riskierte eine vermittelnde Bemerkung. »Ich glaube, was George sagt, paßt ziemlich genau zu dem Hinweis auf Seite zwei, Chef«, sagte er. »An dieser Stelle erwähnt Leipzig tatsächlich >unsere Gespräche in Paris<. Da hat er schon das Karla-Messer angesetzt, keine Frage. Stimmt's, George?«
Aber was die Aufmerksamkeit anging, die Smiley und Enderby ihm zollten, hätte Sam Collins ebenso gut im Nebenzimmer sprechen können.
»Leipzig hatte auch den Brief der Ostrakowa«, ergänzte Smiley.
»Der Inhalt sprach nicht gerade für Kirow.«
»Noch etwas«, sagte Enderby.
»Ja, Saul?«
»Vier Jahre, ja? Es ist volle vier Jahre her, seit Kirow seinen ersten Versuch bei Leipzig gemacht hat. Plötzlich reißt er die Ostrakowa auf und probiert die gleiche Masche. Vier Jahre später. Wollen Sie sagen, er sei die ganze Zeit über mit ein und demselben Auftrag Karlas schwanger gegangen, ohne mit einem Resultat niederzukommen?«
Smileys Antwort war seltsam bürokratisch. »Man kann nur vermuten, daß Karlas Bedarf nicht mehr gegeben war und später wieder akut wurde«, erwiderte er steif, und Enderby war klug genug, nicht weiter in ihn zu dringen.
»Kurz und gut: Leipzig erpreßt Kirow nach Strich und Faden und macht Wladimir davon Mitteilung«, faßte Enderby zusammen, und hob abermals zählend die gespreizten Finger. »Wladimir schickt Willem als Kurier los. Inzwischen hat Karla auf seiner Ranch in Moskau Lunte gerochen, oder Mikhel hat gepfiffen, vermutlich letzteres. Wie dem auch sei, Karla beordert Kirow unter dem Vorwand einer Beförderung nach Hause und hängt ihn an den Ohren auf. Kirow singt sofort, hätte ich auch getan. Karla versucht, die Zahnpasta wieder in die Tube zu drücken. Tötet Wladimir, der mit dem Brief der Ostrakowa auf dem Weg zu unserem Treff ist. Tötet Leipzig. Macht einen gemeinen Mordanschlag auf die alte Dame, aber es klappt nicht. Wie ist ihm jetzt zu Mute?«
»Er sitzt in Moskau und wartet, daß Holmes oder Kapitän Ahab bei ihm auftauchen«, scherzte Sam Collins mit seiner Samtstimme und zündete sich seine soundsovielte Zigarette an.
Enderby mußte nicht lachen. »Und warum buddelt Karla seinen Schatz nicht wieder aus, George? Deponiert ihn anderswo? Wenn Kirow Karla beichtete, was er Leipzig gebeichtet hat, dann mußte Karla als erstes alle Spuren verwischen!«
»Vielleicht ist der Schatz nicht zu transferieren«, erwiderte Smiley. »Vielleicht sind Karlas Möglichkeiten erschöpft.«
»Aber es wäre heller Wahnsinn, dieses Bankkonto stehenzulassen!«
»Es war auch heller Wahnsinn, einen
Idioten wie Kirow einzusetzen«, sagte Smiley. »Es war Wahnsinn, ihn Leipzig
anwerben zu lassen, Wahnsinn, sich an die Ostrakowa heranzumachen, und Wahnsinn
zu glauben, durch drei Morde könne er das Leck stopfen. Die Voraussetzung
voller Zurechnungsfähigkeit ist daher nicht gegeben. Warum auch?« Er schwieg
eine Weile. »Und Karla
»Bis dato sitzt er noch brav im alten Nest«, sagte Collins mit seinem Allwetter-Lächeln.
»Dann wäre ein Transfer des Bankkontos kaum ein logischer Schritt«, bemerkte Smiley. Und er fügte hinzu: »Nicht einmal für einen Wahnsinnigen.«
Und es war seltsam - das äußerten Collins und Enderby später übereinstimmend im engsten Kreis -, daß alles, was Smiley sagte, wie ein kalter Hauch durch den Raum zu wehen schien, daß sie beide, ohne zu begreifen, wie es zuging, sich in eine höhere Sphäre menschlichen Verhaltens versetzt sahen, für die sie nicht gebaut waren.
»Wer ist also seine Dunkle Dame?« fragte Enderby. »Wer ist ihm zehntausend pro Monat und seine ganze verdammte Karriere wert? Bringt ihn soweit, daß er Gimpel ausschickt, statt seiner eigenen regulären Halsabschneider? Muß eine bemerkenswerte Puppe sein.«