»Genieren Sie sich bitte nicht«, warf jener hin. »Rodja ist schon den fünften Tag krank und hat drei Tage phantasiert; jetzt ist er zu sich gekommen und hat sogar mit Appetit gegessen. Da sitzt sein Arzt, er hat ihn soeben untersucht, und ich bin Rodjas Kollege, auch ein ehemaliger Student, und bemuttere ihn jetzt; nehmen Sie also bitte auf uns keine Rücksicht und sagen Sie, was Sie wollen.«
»Ich danke Ihnen. Werde ich aber nicht den Kranken durch meine Anwesenheit und mein Gespräch beunruhigen?« wandte sich Pjotr Petrowitsch an Sossimow.
»N-nein«, sagte Sossimow langsam. »Sie können ihn vielleicht zerstreuen.« Und er gähnte wieder.
»Oh, er ist schon lange bei Besinnung, seit heute früh!« fuhr Rasumichin fort, dessen Familiarität den Eindruck einer so unverfälschten Herzenseinfalt machte, daß Pjotr Petrowitsch nach einiger Überlegung seine Fassung wieder gewann, vielleicht zum Teil auch darum, weil dieser abgerissene und freche Mensch sich schon als Student vorgestellt hatte.
»Ihre Frau Mama ...« begann Luschin.
»Hm!« versetzte Rasumichin laut.
Luschin sah ihn fragend an.
»Ich sage nichts. Fahren Sie fort ...«
Luschin zuckte die Achseln.
»... Ihre Frau Mama hat, noch als ich dort war, einen Brief an Sie begonnen. Nach meiner Ankunft ließ ich absichtlich einige Tage verstreichen und suchte Sie nicht auf, um ganz sicher zu sein, daß Sie von allem unterrichtet sind; jetzt aber ... zu meinem Erstaunen ...« ...«
»Ich weiß, ich weiß!« sagte plötzlich Raskolnikow mit dem Ausdrucke des ungeduldigsten Ärgers. »Sie sind es? Der Bräutigam? Nun, ich weiß! ... und genug davon! ...«
Pjotr Petrowitsch fühlte sich entschieden verletzt, sagte aber nichts. Er bemühte sich, möglichst schnell dahinter zu kommen, was dies alles zu bedeuten habe. Das Schweigen währte etwa eine Minute.
Raskolnikow, der sich bei seiner Antwort ein wenig zu ihm umgewandt hatte, begann indessen wieder, ihn aufmerksam und mit einer eigentümlichen Neugier zu betrachten, als hätte er vorhin noch nicht Zeit gehabt, ihn vollständig zu sehen, oder als hätte ihn etwas Neues an ihm überrascht; er hob sogar zu diesem Zweck seinen Kopf vom Kissen. Im ganzen Aussehen Pjotr Petrowitschs fiel in der Tat etwas Eigentümliches auf, was die Bezeichnung »Bräutigam«, die man ihm soeben etwas ungeniert verliehen hatte, zu rechtfertigen schien. Erstens konnte man ihm ansehen, und zwar viel zu deutlich, daß Pjotr Petrowitsch sich mit Eifer beeilt hatte, die einigen Tage seines Aufenthalts in der Residenz auszunutzen, um sich in Erwartung der Braut auszuputzen und zu verschönen, was übrigens höchst harmlos und erlaubt war. Sogar das vielleicht etwas allzu selbstzufriedene Bewußtsein seiner angenehmen Veränderung zum Besseren konnte ihm in diesem Falle nachgesehen werden, denn Pjotr Petrowitsch befand sich ja im Stande eines Bräutigams. Seine ganze Kleidung war soeben vom Schneider gekommen, und alles war schön; auszusetzen wäre vielleicht nur, daß alles viel zu neu war und den bestimmten Zweck zu sehr unterstrich. Selbst der elegante, neue runde Hut zeugte von diesem Zweck: Pjotr Petrowitsch behandelte ihn allzu respektvoll und hielt ihn allzu vorsichtig in den Händen. Selbst das wunderschöne Paar fliederfarbener Handschuhe – ein echtes Erzeugnis von Jouvin – zeugte davon, wenn auch nur dadurch, daß er sie nicht angezogen hatte, sondern als Paradestück in der Hand hielt. In der Kleidung Pjotr Petrowitschs herrschten helle und jugendliche Farben vor. Er trug einen hübschen hellbraunen Sommerrock, eine leichte helle Hose, eine Weste aus dem gleichen Stoff, soeben angeschaffte feine Wäsche und eine sehr leichte Battistkrawatte mit rosa Streifen, und das beste daran war, daß dies alles Pjotr Petrowitsch nett zu Gesicht stand. Sein frisches und sogar hübsches Gesicht ließ ihn auch ohnehin jünger als fünfundvierzig Jahre, die er zählte, erscheinen. Der dunkle Backenbart umrahmte es in Form zweier Koteletts anmutig von beiden Seiten und verdichtete sich sehr hübsch an seinem glänzenden, sorgfältig rasierten Kinn. Sogar seine übrigens nur hier und da ergrauten Haare, die vom Friseur gekämmt und gekräuselt waren, erschienen dadurch in keiner Weise lächerlich oder dumm, was doch meistens bei gekräuselten Haaren der Fall ist, weil sie dem Gesicht unbedingt die Ähnlichkeit mit einem Deutschen verleihen, der zur Trauung geht. Und wenn in diesem recht hübschen und soliden Gesicht wirklich etwas Unangenehmes und Abstoßendes lag, so beruhte das auf anderen Ursachen. Nachdem Raskolnikow Herrn Luschin recht ungeniert betrachtet hatte, lächelte er giftig, ließ sich wieder auf das Kissen fallen und begann wie früher auf die Decke zu sehen.
Herr Luschin nahm sich aber zusammen und entschloß sich anscheinend, diesen Eigentümlichkeiten vorerst keine Beachtung zu schenken.